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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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kamen wir endlich hinüber.
    Will hatte kein Wort gesagt, seit wir das Haus verlassen hatten.
    Das Krankenhaus war ein gläsernes, hypermodernes Gebäude. Der Empfangsbereich sah mehr nach einem schicken Hotel aus, was möglicherweise den vielen Privatpatienten hier geschuldet war. Ich blieb im Hintergrund, als Will der Empfangsdame seinen Namen nannte, und dann folgte ich ihm und Nathan durch einen langen Flur. Nathan trug einen großen Rucksack, in dem von Trinkbechern bis zu Ersatzkleidung alles verstaut war, was Will bei seinem kurzen Aufenthalt hier möglicherweise benötigen könnte. Während Nathan den Rucksack packte, hatte er mir jeden möglichen Zwischenfall genauestens beschrieben. «Ich schätze, es ist ganz gut, dass wir nicht oft ins Krankenhaus müssen», hatte er gesagt, als er mein entsetztes Gesicht sah.
    Will fuhr allein ins Arztzimmer. Nathan und ich saßen davor auf bequemen Besucherstühlen. Es roch überhaupt nicht nach Krankenhaus, und auf dem Fensterbrett stand eine Vase mit frischen Blumen. Und zwar nicht mit irgendwelchen gewöhnlichen Blumen. Es waren riesige, exotische Dinger, deren Namen ich nicht kannte und die man kunstvoll arrangiert hatte.
    «Was machen sie dadrin?», fragte ich, als wir eine halbe Stunde gewartet hatten.
    Nathan sah von seinem Buch auf. «Das ist nur seine halbjährliche Untersuchung.»
    «Um festzustellen, ob es besser wird?»
    Nathan legte sein Buch weg. «Es wird nie mehr besser. Er hat eine Rückenmarksverletzung.»
    «Aber Sie machen doch Physiotherapie und so weiter mit ihm.»
    «Damit soll seine körperliche Verfassung aufrechterhalten werden – um den Muskelschwund und die Entmineralisierung der Knochen aufzuhalten und damit seine Beine beweglich bleiben, dafür machen wir das.»
    Als er weitersprach, war seine Stimme sanft, als fürchtete er, mich zu enttäuschen. «Er wird nie wieder laufen können, Louisa. So was passiert nur im Kino. Alles, was wir tun können, ist zu versuchen, ihm Schmerzen zu ersparen und ihm die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit zu erhalten, die er noch hat.»
    «Macht er mit? Bei der Physiotherapie, meine ich. Egal, was ich ihm vorschlage, er will davon nichts wissen.»
    Nathan verzog das Gesicht. «Er macht mit, aber ich glaube nicht, dass er mit Überzeugung dabei ist. Am Anfang, als ich kam, war er sehr engagiert. Er hat in der Reha ziemlich Fortschritte gemacht, aber nach einem weiteren Jahr ohne jede Verbesserung glaubt er vermutlich nicht mehr, dass es sich wirklich lohnt.»
    «Glauben Sie, er sollte es weiter versuchen?»
    Nathan starrte auf den Boden. «Ehrlich? Er ist ein C5/C6-Tetraplegiker. Das bedeutet, dass unterhalb von hier nichts mehr funktioniert.» Er legte eine Hand auf seinen oberen Brustbereich. «Es wurde noch keine Methode entwickelt, eine Rückenmarksverletzung zu heilen.»
    Ich starrte die Tür an und dachte an Wills Gesicht im Auto, als wir durch die Wintersonne gefahren waren, und dann an das strahlende Gesicht von dem Foto aus dem Skiurlaub. «Es gibt doch andauernd Fortschritte in der Medizin, oder? Ich meine … an einem Ort wie dem hier … da müssen sie doch die ganze Zeit nach einer Heilmethode forschen.»
    «Das hier ist ein ziemlich gutes Krankenhaus», sagte er ruhig.
    «Wo sie so richtig engagiert sind und so weiter?»
    Nathan sah mich an, dann wanderte sein Blick wieder zu seinem Buch. «Klar», sagte er.

    Um Viertel vor drei schickte mich Nathan Kaffee holen. Er meinte, diese Untersuchungstermine könnten sich ziemlich hinziehen und dass er die Stellung halten würde, bis ich wieder zurückkam. Ich schlenderte ein bisschen durch den Empfangsbereich, blätterte in ein paar Heften beim Zeitschriftenladen und trödelte bei den Süßigkeiten herum.
    Wie vermutlich zu erwarten, verirrte ich mich auf dem Rückweg, und ich musste mehrere Krankenschwestern fragen, wohin ich gehen sollte, von denen es zwei selbst nicht wussten. Als ich schließlich mit dem kalt gewordenen Kaffee ankam, war der Flur verlassen. Beim Näherkommen sah ich, dass die Tür zum Behandlungszimmer einen Spalt aufstand. Ich blieb davor stehen, aber dann klang mir Mrs. Traynors Stimme in den Ohren, wie sie mich dafür kritisiert hatte, dass ich nicht bei Will geblieben war. Und jetzt hatte ich ihn schon wieder allein gelassen.
    «Wir sehen uns also in drei Monaten wieder, Mr. Traynor», hörte ich jemanden sagen. «Ich habe Ihnen ein anderes Medikament zur Krampflösung verschrieben, und ich sorge dafür, dass Ihnen die

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