Ein ganzes halbes Jahr
als subversiven Akt betrachtete, aber ich konnte meinen Kopf nicht von der Schulbank heben.
«Louisa.»
«Mmmh.»
«Louisa.»
Die Schulbank war unheimlich weich. Ich öffnete die Augen. Über meinem Kopf hörte ich wieder das leise, aber nachdrücklich gezischte Louisa .
Ich lag im Bett. Ich blinzelte, konzentrierte mich, und als ich aufsah, starrte Camilla Traynor auf mich herunter. Sie trug einen dicken Wollmantel, und eine Handtasche hing über ihrer Schulter.
«Louisa.»
Ich fuhr hoch. Neben mir schlief Will, den Mund etwas geöffnet, die Ellbogen im rechten Winkel von sich gestreckt. Licht sickerte durch das Fenster herein. Es sah nach einem kalten, klaren Morgen aus.
«Hrm.»
«Was tun Sie denn da?»
Ich kam mir vor, als hätte man mich bei irgendeinem schrecklichen Verbrechen erwischt. Ich rieb mir übers Gesicht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum war ich hier? Was sollte ich ihr sagen?
«Was tun Sie in Wills Bett?»
«Will …», sagte ich leise. «Will hat sich nicht wohl gefühlt … ich dachte einfach, ich sollte ein Auge auf …»
«Was meinen Sie damit, er hat sich nicht wohl gefühlt? Kommen Sie doch bitte mit in die Diele.» Sie ging hinaus und erwartete, dass ich ihr folgte.
Ich ging ihr nach und zog dabei meine Kleider zurecht. Ich hatte das Gefühl, mein Make-up war über mein gesamtes Gesicht verschmiert.
Als ich in der Diele war, schloss sie die Tür zu Wills Zimmer.
Ich stand vor ihr und strich meine Haare glatt, während ich richtig wach wurde. «Will hatte erhöhte Temperatur. Nathan konnte sie senken, als er hier war, aber ich wusste über diese Sache mit der körpereigenen Temperaturregelung nicht Bescheid, und ich wollte Will nicht aus den Augen lassen … Nathan hat gesagt, ich soll aufpassen …» Meine Stimme klang belegt und unklar. Ich war nicht ganz sicher, ob ich sinnvolle Sätze bildete.
«Warum haben Sie mich denn nicht angerufen? Wenn er krank war, hätten Sie mich unverzüglich anrufen müssen. Oder Mr. Traynor.»
Es war, als würden plötzlich die Synapsenschaltungen in meinem Gehirn wieder funktionieren. Mr. Traynor. Oje. Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Es war Viertel vor acht.
«Ich habe nicht … Ich dachte, Nathan …»
«Hören Sie, Louisa. Das ist doch wirklich nicht so kompliziert. Wenn Will derart krank war, dass Sie glaubten, in seinem Zimmer schlafen zu müssen, hätten Sie es mir sagen sollen.»
«Ja.»
Ich blinzelte und starrte auf den Boden.
«Ich verstehe nicht, warum Sie sich nicht gemeldet haben. Haben Sie es bei Mr. Traynor versucht?»
Nathan hat gesagt, ich soll mich raushalten.
«Ich …»
In diesem Augenblick wurde die Tür zum Anbau geöffnet, und Mr. Traynor stand vor uns, mit einer gefalteten Zeitung unter dem Arm. «Du hast es zurückgeschafft!», sagte er zu seiner Frau und wischte sich Schneeflocken von den Schultern. «Ich habe mich gerade die Straße raufgekämpft, um eine Zeitung und Milch zu besorgen. Es ist richtig gefährlich, draußen rumzulaufen. Ich musste einen ziemlichen Umweg nehmen, um nicht die ganze Zeit auf Glatteis zu gehen.»
Sie sah ihn an, und ich fragte mich, ob ihr auffiel, dass er dasselbe Hemd und denselben Pullover trug wie am Tag zuvor.
«Wusstest du, dass Will heute Nacht krank war?»
Er sah mich direkt an. Ich senkte meinen Blick und musterte meine Füße. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor in einer so unangenehmen Situation gewesen zu sein.
«Haben Sie versucht, mich anzurufen, Louisa? Es tut mir leid, ich habe nichts gehört. Ich glaube, mit der Gegensprechanlage ist etwas nicht in Ordnung. In der letzten Zeit habe ich sie schon ein paarmal nicht gehört. Außerdem habe ich mich gestern Abend selbst nicht ganz wohl gefühlt. Hab geschlafen wie ein Stein.»
Ich trug immer noch Wills Strümpfe. Ich starrte die Strümpfe an und fragte mich, ob mich Mrs. Traynor dafür auch zur Rede stellen würde.
Aber sie schien sich zu entspannen. «Die Fahrt hierher war anstrengend. Ich glaube … ich ziehe mich ein wenig zurück. Aber wenn so etwas noch einmal vorkommt, rufen Sie mich augenblicklich an. Haben Sie das verstanden?»
Ich mied Mr. Traynors Blick. «Ja», sagte ich und verschwand in die Küche.
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Kapitel 7
D er Frühling kam über Nacht, als hätte der Winter wie ein ungebetener Gast urplötzlich seinen Mantel genommen und wäre grußlos abgezogen. Alles wurde grün, die Straßen badeten in einem wässrigen
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