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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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dass ich in der Schule gar kein Latein gehabt hatte – meine Schule war eine ziemlich kleine Mädchenschule, wo mehr Wert auf Kochen und Sticken gelegt wurde, also Dinge, die uns helfen sollten, gute Ehefrauen zu werden –, aber die Pflanzennamen konnte ich mir trotzdem mühelos merken. Ich brauchte eine Bezeichnung nur einmal zu hören, und sie war für alle Zeiten in meinem Gedächtnis. Helleborus niger, Eremurus stenophyllus, Athyrium niponicum. Ich kann diese Namen herunterbeten.
    Es heißt, dass man einen Garten erst zu schätzen lernt, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, und ich vermute, da ist etwas Wahres dran. Es hat vermutlich etwas mit dem Kreislauf des Lebens zu tun. Es ist wie ein Wunder, jedes Jahr nach dem kahlen Winter die unbändige Lebenskraft zu beobachten, die sich Bahn bricht, es macht Freude, jedes Jahr die Veränderungen zu sehen, wenn die Natur dafür sorgt, dass dieses Mal eine andere Ecke des Gartens am besten zur Geltung kommt. Es hat Zeiten gegeben – Zeiten, in denen sich meine Ehe als bevölkerungsreicher herausstellte, als ich angenommen hatte –, in denen der Garten meine Zuflucht war.
    Und es hat Zeiten gegeben, in denen er mir nichts als Kummer machte. Es gibt kaum etwas Enttäuschenderes, als eine neue Rabatte anzulegen, die dann nicht blüht, oder eine Reihe wunderschöner Allium-Gewächse, die über Nacht von einem schleimigen Missetäter zerstört werden. Aber selbst wenn ich mich über die vielen Stunden Gartenarbeit, all die Mühe, die Gelenkschmerzen nach dem Unkrautjäten beschwerte oder darüber klagte, dass meine Fingernägel nie mehr richtig sauber wurden, liebte ich ihn. Ich liebte es, draußen zu sein, die Gerüche, das Gefühl von Erde unter meinen Fingern, die Befriedigung, die Pflanzen wachsen und strahlen zu sehen, betört von ihrer eigenen, vergänglichen Schönheit.
    Nach Wills Unfall habe ich ein Jahr lang nichts mehr im Garten gemacht. Es lag nicht nur an der mangelnden Zeit, obwohl die endlosen Stunden, die ich im Krankenhaus verbrachte, oder die Hin- und Rückfahrten im Auto und die Arztgespräche – o Gott, die Arztgespräche – so viel davon auffraßen. Ich nahm sechs Monate Sonderurlaub, und die Zeit reichte immer noch nicht.
    Es lag mehr daran, dass ich auf einmal keinen Sinn mehr in der Gartenarbeit sah. Ich bezahlte einen Gärtner, damit er sich um das Nötigste kümmerte, und ich glaube, ich habe das ganze Jahr kaum einen Blick hinausgeworfen.
    Erst nachdem der Anbau fertig war und wir Will nach Hause holten, sah ich wieder einen Sinn darin, den Garten schön zu gestalten. Ich musste meinem Sohn etwas zum Anschauen geben. Ich musste ihm auf diese wortlose Art vermitteln, dass sich alles ändern kann, es kann wachsen oder vergehen, aber das Leben geht trotzdem weiter. Ich musste ihm erklären, dass wir alle zu demselben großen Kreislauf gehören, zu einem Muster, dessen Zweck nur Gott allein durchschaute. Das konnte ich ihm natürlich nicht einfach so sagen – Will und ich hatten eigentlich nie wirklich miteinander reden können –, aber ich wollte es ihm zeigen. Ein stummes Versprechen, wenn man so möchte, dass es eine größere Perspektive gab, eine bessere Zukunft.

    Steven stocherte im Kaminfeuer herum. Mit einem Schürhaken schob er geschickt halbverbrannte Scheite auseinander, sodass Funken stoben, und legte dann einen neuen Holzscheit in die Mitte. Er trat einen Schritt zurück, wie er es immer tat, beobachtete mit ruhiger Befriedigung, wie die Flammen an dem neuen Scheit leckten, und klopfte sich die Hände an seiner Cordhose ab. Als ich hereinkam, drehte er sich um. Ich hielt ihm ein Glas entgegen.
    «Danke. Trinkt George noch etwas mit uns?»
    «Anscheinend nicht.»
    «Was macht sie?»
    «Sitzt vor dem Fernseher. Sie will allein sein. Ich habe sie gefragt.»
    «Sie wird schon noch runterkommen. Wahrscheinlich macht ihr der Jetlag zu schaffen.»
    «Das hoffe ich, Steven. Sie ist zurzeit nicht gerade zufrieden mit uns.»
    Schweigend sahen wir ins Feuer. Der Raum war dämmrig und still, nur die Fensterläden klapperten leise, als würden Wind und Regen daran rütteln.
    «Scheußliche Nacht.»
    «Ja.»
    Der Hund trabte herein, ließ sich mit einem Seufzer vor dem Kamin nieder und sah bewundernd zu uns auf.
    «Also, was hältst du davon?», sagte er. «Von dieser Haarschnitt-Geschichte.»
    «Ich weiß nicht. Ich würde es gern für ein gutes Zeichen halten.»
    «Diese Louisa ist ein ziemlicher Charakter, was?»
    Ich sah, wie mein

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