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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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nicht tun lassen, Mum. Du musst ihn daran hindern.»
    «Das ist nicht unsere Entscheidung, Liebling.»
    «Doch. Ist es doch … wenn er dich darum bittet, dich daran zu beteiligen», widersprach Georgina.
    Meine Hand lag auf der Türklinke.
    «Ich glaube einfach nicht, dass du ihm zugestimmt hast. Was ist mit deinem Glauben? Was mit allem, was du bisher für ihn getan hast? Was für einen Zweck hatte es dann, dass ihr ihm das letzte Mal das Leben gerettet habt?»
    Mrs. Traynor bemühte sich, ruhig zu bleiben. «Das ist nicht fair.»
    «Aber du hast gesagt, du bringst ihn hin. Was soll …?»
    «Hast du schon einmal daran gedacht, dass er jemand anderen darum bitten wird, wenn ich es ablehne?»
    «Aber Dignitas! Das ist einfach falsch. Ich weiß, dass es schwer für ihn ist, aber es wird Daddy und dich für immer kaputtmachen. Das weiß ich. Denk doch mal dran, wie du dich damit fühlen wirst! Denk an die Reaktionen in der Öffentlichkeit. Denk an deine Arbeit. Und was ist mit eurem Ruf? Das muss er doch wissen. Schon darum zu bitten ist reiner Egoismus. Wie kann er nur? Wie kann er das nur machen? Wie kannst du das nur machen?» Sie begann wieder zu schluchzen.
    «George …»
    «Sieh mich nicht so an. Er bedeutet mir viel, Mummy. Wirklich. Er ist mein Bruder, und ich liebe ihn. Aber ich kann es nicht ertragen. Ich kann nicht einmal den Gedanken daran ertragen. Er darf keinen um so etwas bitten, und du darfst nicht einmal darüber nachdenken. Er zerstört nicht nur sein eigenes Leben, wenn ihr das durchzieht.»
    Ich trat einen Schritt zurück. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich Mrs. Traynors Erwiderung kaum hören konnte.
    «Sechs Monate, George. Er hat mir sechs Monate versprochen. Ich will nicht, dass du noch einmal davon sprichst und schon gar nicht mit anderen Leuten. Und wir müssen …» Sie holte tief Luft. «Wir müssen beten, dass in dieser Zeit etwas passiert, das ihn seine Meinung ändern lässt.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 8
    Camilla
    I ch hätte nie gedacht, dass ich einmal daran beteiligt sein würde, meinen Sohn umzubringen.
    Sogar diese Worte zu lesen erscheint mir abwegig – wie etwas, das in einer Boulevardzeitung steht oder in einer von diesen grässlichen Zeitschriften, die unsere Putzfrau immer in der Handtasche hat, mit all diesen Geschichten über Frauen, deren Töchter mit ihren Liebhabern durchgebrannt sind, oder über sagenhafte Diäterfolge und zweiköpfige Babys.
    Ich gehörte nicht zu den Leuten, denen so etwas passiert. Jedenfalls glaubte ich das. Mein Leben war klar geordnet. Es war ein ganz normales Leben für eine Frau meiner Generation. Ich war beinahe siebenunddreißig Jahre verheiratet. Ich hatte zwei Kinder großgezogen. Ich hatte mit meiner Ausbildung ausgesetzt, in der Schule ausgeholfen, war im Elternausschuss und studierte weiter, als mich die Kinder nicht mehr brauchten.
    Ich war seit fast elf Jahren Richterin. Ich sah bei Gericht sämtliche Facetten des menschlichen Lebens: die Straßenkinder ohne jede Perspektive, die es nicht einmal schafften, pünktlich zu einem Gerichtstermin zu erscheinen; die Wiederholungstäter; die aggressiven, knallharten jungen Männer und die hochverschuldeten Mütter. Es ist schwer, ruhig und verständnisvoll zu bleiben, wenn man dieselben Gesichter, dieselben Fehler wieder und wieder sieht. Gelegentlich hörte ich die Ungeduld in meiner eigenen Stimme. Es hatte manchmal eine äußerst entmutigende Wirkung, dass der Mensch imstande ist, sich einem verantwortungsbewussten Verhalten einfach zu verweigern.
    Und unsere kleine Stadt war, trotz ihrer schönen Burg, der vielen denkmalgeschützten Gebäude oder unserer pittoresken Landstraßen, keineswegs immun gegen verantwortungsloses Verhalten. Auf unseren Regency-Plätzen betranken sich Teenager, unsere strohgedeckten Cottages dämpften die Geräusche, wenn Männer ihre Frauen und Kinder prügelten. Manchmal fühlte ich mich wie Knut der Große mit seinen sinnlosen Urteilsverkündungen angesichts einer Flut von Chaos und Verwüstung. Trotzdem liebte ich meine Arbeit, weil ich an Ordnung glaube und an einen Moralkodex. Ich glaube, dass es Richtig und Falsch gibt, auch wenn diese Ansicht inzwischen ziemlich außer Mode ist.
    Über die besonders anstrengenden Tage half mir mein Garten hinweg. Als die Kinder größer wurden, entwickelte ich eine richtige Besessenheit dafür. Ich kannte den lateinischen Namen beinahe jeder Pflanze, die dort wuchs. Das Komische daran war,

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