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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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diese Welt lockte mich mit ihrem Sirenengesang.
    Es hatte mit dem Dankesbrief angefangen. Ein paar Tage nach dem Konzert hatte ich Will erklärt, dass wir seinem Freund, dem Geiger, schreiben sollten, um uns zu bedanken.
    «Ich habe auf dem Weg eine schöne Karte besorgt», sagte ich. «Sie diktieren mir, was Sie sagen möchten, und ich schreibe es auf. Ich habe sogar meinen Füller mitgebracht.»
    «Darauf habe ich keine Lust», sagte Will.
    «Wie bitte?»
    «Sie haben mich genau verstanden.»
    «Darauf haben Sie keine Lust ? Dieser Mann hat uns Freikarten für die besten Plätze gegeben. Sie selbst haben gesagt, es war ein phantastisches Konzert. Das mindeste, was Sie tun können, ist, sich zu bedanken.»
    Will spannte den Kiefer an.
    Ich legte den Füller weg. «Oder sind Sie so daran gewöhnt, Geschenke zu bekommen, dass Sie es überflüssig finden, sich zu bedanken?»
    «Sie haben keine Ahnung, Clark, wie frustrierend es ist, von jemand anderem abhängig zu sein, der meine Worte aufschreibt. Der Ausdruck ‹im Auftrag von› ist … erniedrigend.»
    «Ach ja? Er ist aber immer noch besser als ein großes fettes Nichts», murrte ich. « Ich werde mich aber auf jeden Fall bedanken. Und ich werde Ihren Namen nicht erwähnen, wenn Sie wirklich den Blödmann spielen wollen.»
    Ich schrieb die Karte und schickte sie ab. Ich erwähnte sie nicht mehr. Aber an diesem Abend hallte Wills Bemerkung immer noch in mir nach. Ich war in der Bibliothek, hielt nach einem freien Computer Ausschau, und als ich einen gefunden hatte, ging ich ins Internet. Ich suchte nach Verfahren, mit denen Will allein schreiben konnte. Nach einer Stunde hatte ich drei gefunden – ein Computerprogramm, das auf Stimmerkennung basierte, eines, das mit Augenblinzeln gesteuert wurde, und die Tippvorrichtung, die am Kopf getragen wurde und von der Treen schon gesprochen hatte.
    Wie zu erwarten rümpfte er die Nase über die Tippvorrichtung, aber er gab zu, dass das Spracherkennungsprogramm sinnvoll sein könnte, und innerhalb einer Woche gelang es uns mit Nathans Hilfe, das Programm auf Wills Computer zu installieren und eine Halterung für den Computer an seinem Rollstuhl anzubringen, sodass Will niemanden mehr brauchte, der für ihn schrieb. Am Anfang war er ein bisschen gehemmt, aber nachdem ich ihm vorgeschlagen hatte, er könne ja jeden Text mit «Bitte zum Diktat, Miss Clark» beginnen, kam er darüber hinweg.
    Nicht einmal Mrs. Traynor fand etwas auszusetzen. «Wenn Sie noch etwas anderes entdecken, das Sie für sinnvoll halten», sagte sie und presste kurz die Lippen zusammen, als könnte sie immer noch nicht glauben, dass das Schreibprogramm einfach nur eine gute Sache war, «dann lassen Sie es uns wissen.» Dann äugte sie nervös zu Will hinüber, als könnte er gleich mit einem Biss den Computer von der Halterung zerren.
    Drei Tage später, ich machte mich gerade fertig, um zur Arbeit zu gehen, gab mir der Postbote einen Brief. Ich öffnete ihn im Bus, dachte, es wäre vielleicht eine verfrühte Geburtstagskarte von irgendeinem entfernten Verwandten. Dann las ich den Computerausdruck.
Clark,
hiermit beweise ich Ihnen, dass ich doch kein vollkommen selbstsüchtiger Mistkerl bin. Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen.
Danke
Will
    Ich lachte so laut, dass mich der Busfahrer fragte, ob ich im Lotto gewonnen hätte.

    Nach Jahren in der Abstellkammer, mit meiner Kleidung auf einer Stange draußen im Flur, erschien mir Treenas Zimmer wie ein Palast. Am ersten Abend, den ich darin verbrachte, drehte ich mich mit ausgestreckten Armen um mich selbst und genoss es, dabei nicht beide Wände gleichzeitig zu berühren. Ich ging in den Baumarkt und kaufte Wandfarbe und neue Jalousien, eine neue Nachttischlampe und ein paar Regale, die ich selbst zusammenbaute. Ich bin nicht gerade eine gute Handwerkerin, aber ich wollte vermutlich einfach testen, ob ich es konnte.
    Ich gestaltete das Zimmer um, strich abends eine Stunde, nachdem ich von der Arbeit zurück war, und nach einer Woche musste Dad zugeben, dass ich es ziemlich gut gemacht hatte. Er starrte ein bisschen auf all die Veränderungen, betastete die Jalousien, die ich allein angebracht hatte, und legte mir die Hand auf die Schulter. «Das hast du alles allein geschafft, Louisa.»
    Ich kaufte auch einen neuen Bettbezug, einen Teppich und ein paar übergroße Kissen – nur falls mal jemand zu Besuch kommen und faulenzen wollte. Nicht, dass je irgendwer kam. Den Kalender hängte ich wieder innen

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