Ein ganzes halbes Jahr
an die Tür. Außer mir sah ihn dort niemand. Abgesehen davon hätte auch niemand außer mir verstanden, was ich darauf eingetragen hatte.
Ich hatte ein leicht schlechtes Gewissen, als wir Thomas’ Beistellbett neben Treenas Bett in der Abstellkammer aufgebaut hatten, weil man nun kaum noch dazwischen entlangkam, aber dann dachte ich wieder vernünftig – sie wohnten schließlich gar nicht mehr richtig hier. Und in die Abstellkammer würden sie ohnehin nur zum Schlafen gehen. Es gab keinen Grund, aus dem das größere Schlafzimmer wochenlang leer stehen musste.
Ich ging jeden Tag arbeiten und überlegte, was ich noch mit Will unternehmen könnte. Ich hatte keinen Masterplan, ich konzentrierte mich einfach darauf, ihm jeden Tag etwas vorzuschlagen und ihn bei Laune zu halten. Manche Tage – wenn er Schmerzen hatte oder mit einem Infekt elend und fiebernd im Bett lag – waren schwieriger als andere. Aber an den guten Tagen war es mir schon mehrfach gelungen, ihn hinaus in die Frühlingssonne zu bringen. Weil ich wusste, dass Will nichts so sehr hasste wie die mitleidigen Blicke Fremder, fuhr ich mit ihm zu schönen Stellen in der Umgebung, wo wir ein oder zwei Stunden verbrachten. Ich bereitete Picknicks vor, und wir saßen an Feldrändern und genossen den warmen Wind und die Tatsache, aus dem Anbau heraus zu sein.
«Mein Freund will Sie kennenlernen», erklärte ich ihm an einem Nachmittag, während ich für ihn Stückchen von einem Käse und einem Sandwich abbrach.
Wir waren ein paar Meilen aus der Stadt herausgefahren, auf einen Hügel, von dem aus wir über ein Tal mit einer Schafsweide hinweg die Burg sehen konnten.
«Warum?»
«Er will wissen, mit wem ich all meine Abende verbringe.»
Seltsamerweise schien er das höchst erheiternd zu finden.
«Der Marathon-Mann.»
«Ich glaube, meine Eltern wollen Sie auch kennenlernen.»
«Ehrlich gesagt, werde ich immer ein bisschen nervös, wenn mir ein Mädchen sagt, dass mich seine Eltern kennenlernen wollen. Wie geht es übrigens Ihrer Mum?»
«Ach, immer das Gleiche.»
«Und Ihr Dad? Was ist mit seinem Job? Gibt es etwas Neues?»
«Nein. Sie wollen ihm angeblich nächste Woche etwas Definitives sagen. Jedenfalls haben meine Eltern gefragt, ob ich Sie nicht zu meinem Geburtstagsessen am Freitagabend einladen will. Es ist nichts Besonderes. Nur die Familie. Aber wenn Sie nicht wollen … ist das auch okay.»
«Wer sagt denn, dass ich nicht will?»
«Sie hassen doch fremde Leute. Es ist Ihnen unangenehm, vor anderen zu essen. Für mich ist die Sache klar.»
Ich hatte ihn inzwischen durchschaut. Die aussichtsreichste Art, Will zu etwas zu bringen, war, ihm zu sagen, dass er es vermutlich nicht wollte. Das konnte irgendein sturer, widerspenstiger Charakterzug in ihm trotz allem nicht ertragen.
Will kaute ausführlich. «Nein. Ich komme zu Ihrem Geburtstag. Damit gebe ich Ihrer Mutter etwas, mit dem sie sich ablenken kann, falls es sonst zu nichts gut ist.»
«Ehrlich? O Gott, wenn ich ihr das sage, fängt sie noch heute Abend mit Abstauben und Putzen an.»
«Sind Sie sicher, dass sie Ihre biologische Mutter ist? Sollte da nicht eine Art genetischer Verwandtschaft bestehen? Noch ein Stück Sandwich, bitte, Clark. Und diesmal mit mehr Gürkchen.»
Was ich gesagt hatte, war nur halb als Scherz gemeint. Mum kam bei der Vorstellung, einen Tetraplegiker zu empfangen, total ins Schleudern. Ihre Hände flatterten an ihr Gesicht, und dann fing sie an, den Nippes auf der Kommode neu zu arrangieren, als würde Will innerhalb von ein paar Minuten vor der Tür stehen, nachdem ich ihr von seiner Zusage erzählt hatte.
«Aber was ist, wenn er auf die Toilette muss? Wir haben keine Toilette im Erdgeschoss. Ich glaube nicht, dass Dad ihn in den ersten Stock tragen kann. Ich könnte ihm natürlich helfen … aber ich wäre ein bisschen unsicher, wie ich ihn anfassen soll. Meinst du, Patrick könnte mit anpacken?»
«Über so etwas musst du dir keine Sorgen machen, wirklich nicht.»
«Und was ist mit seinem Essen? Soll ich seine Portion pürieren? Gibt es etwas, das er nicht essen kann?»
«Nein, er braucht nur Hilfe, um die Bissen in den Mund zu bekommen.»
«Und wer macht das?»
«Ich mache das. Reg dich nicht auf, Mum. Er ist nett. Du wirst ihn mögen.»
Und so organisierten wir es. Nathan würde Will abholen und zu uns fahren, und ein paar Stunden später würde er ihn wieder nach Hause bringen und die Abendpflege übernehmen. Ich hatte mich dafür angeboten,
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