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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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gelegt hatte, die eindeutig nicht Mrs. Traynor war. Als er mich bemerkte, ließ er den Arm fallen, als hätte er sich verbrannt.
    Ich drehte mich weg und tat so, als würde ich mir eine Schaufensterauslage anschauen. Ich war unsicher, ob ich ihn wissenlassen wollte, dass ich ihn gesehen hatte, und ich versuchte, das Ganze möglichst schnell zu vergessen.
    Am Freitag, in der Woche, in der mein Dad seinen Job verloren hatte, kam bei Will eine Einladung an – eine Einladung zu der Hochzeit von Alicia und Rupert. Na ja, genau genommen kam die Einladung von Colonel und Mrs. Timothy Dewar, die Will baten, an der Feier zur Eheschließung ihrer Tochter mit Rupert Freshwell teilzunehmen. Die Einladung kam in einem Umschlag aus edlem, schwerem Papier zusammen mit einem Ablaufplan und einer dicken, gefalteten Liste mit Sachen, die ihnen die Gäste in Läden kaufen konnten, von denen ich noch nie im Leben gehört hatte.
    «Die hat ja Nerven», sagte ich, während ich die Prägeschrift in Gold und den Goldrand der dicken Karte musterte. «Soll ich sie wegwerfen?»
    «Machen Sie damit, was Sie wollen.» Wills gesamter Körper war ein Ausdruck von betonter Gleichgültigkeit.
    Ich starrte auf die Liste. «Was zur Hölle ist eine Couscoussiere?»
    Vielleicht lag es daran, mit welcher Geschwindigkeit er sich umdrehte und sich am Computer zu schaffen machte. Vielleicht lag es an seinem Ton. Jedenfalls warf ich die Einladung aus irgendeinem Grund nicht weg. Stattdessen steckte ich sie sorgsam in einen Ordner in der Küche.
    Will gab mir ein weiteres Buch mit Kurzgeschichten, das er bei Amazon bestellt hatte, und eine Ausgabe von Eros und Evolution . Aber ich wusste genau, dass mir dieses Buch nicht gefallen würde. «Da gibt es ja nicht mal eine richtige Geschichte», sagte ich, nachdem ich den Klappentext gelesen hatte.
    «Na und?», gab Will zurück. «Fordern Sie sich ruhig mal ein bisschen.»
    Ich versuchte es, aber nicht, weil ich mich plötzlich für Genetik interessierte, sondern weil mir Will endlos in den Ohren liegen würde, wenn ich es nicht tat. So war er nämlich inzwischen. Er drangsalierte mich manchmal richtig. Und es nervte, dass er mich über die Bücher ausfragte, die er mir gab, weil er genau wissen wollte, ob ich sie wirklich las.
    «Sie sind nicht mein Lehrer», murrte ich dann häufig.
    «Gott sei Dank», gab er darauf inbrünstig zurück.
    In diesem Buch – das übrigens überraschend lesbar war – ging es beinahe ausschließlich um den Überlebenskampf. Es stellt die These auf, Frauen würden sich Männer überhaupt nicht aus Liebe aussuchen. Stattdessen würden die weiblichen Vertreter der menschlichen Spezies nach dem stärksten männlichen Vertreter suchen, um ihren Nachkommen die besten Überlebenschancen zu verschaffen. Und daran konnten die Frauen nichts ändern. Ihre Natur war einfach so.
    Damit war ich überhaupt nicht einverstanden. Und die Argumentation gefiel mir auch nicht. Und es stand eine unangenehme, versteckte Botschaft zwischen den Zeilen. In den Augen des Autors war Will nur ein körperlich schwacher, beschädigter Vertreter unserer Gattung. Das machte ihn aus biologischer Sicht uninteressant. Das machte sein Leben wertlos.
    Will war beinahe einen ganzen Nachmittag auf dieser These herumgeritten, als ich dazwischenplatzte. «Aber eins hat dieser Matt Ridley nicht bedacht», sagte ich.
    Will sah von seinem Computer auf. «Ach ja?»
    «Was ist, wenn der genetisch überlegene männliche Vertreter der Spezies ein Idiot ist?»

    Am dritten Samstag im Mai kamen Treena und Thomas nach Hause. Meine Mutter war schon aus der Tür und über den Gartenweg, als sie noch kaum in unsere Straße eingebogen waren. Thomas, schwor sie, während sie ihn in die Arme schloss, sei in der Zwischenzeit mehrere Zentimeter gewachsen. Richtig erwachsen sei er geworden, ihr kleiner Mann. Treena hatte sich die Haare schneiden lassen und wirkte seltsam elegant. Sie trug ein Jackett, das ich nicht kannte, und Riemchensandalen. Ich stellte fest, dass ich mich gemeinerweise fragte, woher sie das Geld dafür hatte.
    «Und? Wie ist es?», fragte ich, während Mum mit Thomas im Garten herumlief und ihm die Frösche in dem winzigen Teich zeigte. Dad sah sich mit Großvater ein Fußballspiel an und stieß einen Ruf der Enttäuschung über eine verpasste Torchance aus.
    «Super. Wirklich gut. Ich meine, es ist natürlich schwer, keine Hilfe mit Thomas zu haben, und es hat eine Weile gedauert, bis er sich an den Kindergarten

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