Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
Zahlen als Formen, nicht als Mengen visualisierten; und das visuelle Vorstellungsvermögen ist bei einigen Kindern mit Asperger-Syndrom sehr weit fortgeschritten. Tatsächlich weisen einige der bedeutendsten Mathematiker Merkmale des Asperger-Syndroms auf. 27
Die Kinder lösen komplexe mathematische Probleme, können aber oft nicht in Worte fassen, wie sie zur Lösung gelangt sind. Insbesondere Lehrer sollten sich dieser Besonderheit bewusst sein. Hans Asperger beschrieb, wie eines der Kinder, das er diagnostizierte, sagte: »Mündlich kann ich das nicht, aber köpflich.« 28 In der Mathematik gibt es nur eine richtige Antwort, was dem Sicherheitsbedürfnis der Kinder entgegenkommt. Verbunden mit ihrer Fähigkeit, Zahlen zu visualisieren, sind dies zwei Faktoren, die ihre mathematische Begabung erklären.
Dyskalkulie
Einige Kinder mit Asperger-Syndrom haben dagegen Schwierigkeiten, auch nur die Grundlagen der Mathematik zu verstehen, was man als Dyskalkulie bezeichnet. Man muss herausfinden, welche kognitiven Fähigkeiten fehlen. Manchmal liegt das Problem nicht darin, einfache arithmetische Aufgaben zu lösen oder Fahrpläne zu behalten, sondern darin, mathematisches Wissen im Alltag anzuwenden. 29 .
Schwache zentrale Kohärenz
Uta Frith und Francesca Happé haben das Lernprofil und die Informationsverarbeitung von Kindern mit Autismus und Asperger-Syndrom untersucht und dabei einige bemerkenswerte Phänomene entdeckt. 30
Diese Kinder können erstaunlich gut in der Detailwahrnehmung sein, haben aber offenbar beträchtliche Schwierigkeiten damit, das Gesamtbild zu erkennen und zu verstehen.
Man kann dies nachvollziehen, indem man sich vorstellt, dass man die Welt durch ein Rohr betrachtet, ähnlich einem Teleskop – man sieht dann viele Details, aber nicht den Kontext.
Normale Gleichaltrige haben eine breitere kognitive Perspektive. Wenn ein Kind mit Asperger-Syndrom nicht rechtzeitig mit einer Aufgabe fertig ist, muss das nicht unbedingt an mangelnder Aufmerksamkeit liegen, sondern kann auch darauf hindeuten, dass es sich in Details verliert. Sie müssen es also darauf hinweisen, worauf es achten soll.
Monotropismus
Ein Begriff, der neuerdings gebraucht wird, ist Monotropismus. 31 Damit ist gemeint, dass große Teile der potenziellen Information nicht registriert werden, was zu einer sehr fragmentierten Sicht auf die Welt führt. Die Person lernt isolierte Fakten, sieht aber nicht die Gesamtheit. Als Amateurfotograf stelle ich mir das so vor, als ob die Umwelt durch ein Teleobjektiv wahrgenommen wird statt durch ein Weitwinkelobjektiv.
Bei der Verarbeitung von komplexen Informationen sind normale Kinder in der Lage, alle relevanten Ereignisse als zusammenhängend zu erfassen und ein zentral kohärentes Thema zu erkennen. Menschen mit Asperger-Syndrom fällt es offenbar schwer zu bestimmen, was relevant und was redundant ist. Ihnen fällt es ebenfalls schwer, das Gesamtbild und den Zusammenhang zu entschlüsseln. Psychologen nennen diese Art der Informationsverarbeitung eine schwache zentrale Kohärenz.
Wie wirkt sich die schwache zentrale Kohärenz aus?
Die schwache zentrale Kohärenz erklärt einige der Besonderheiten, die Menschen mit Asperger-Syndrom bei kognitiven, sprachlichen und sozialen Fähigkeiten aufweisen. Im kognitiven Sinne kann die Person manchmal Details und Verbindungen erkennen, die von anderen Menschen nicht wahrgenommen werden. Neue Zusammenhänge zu erkennen, kann dazu beitragen, ein erfolgreicher Wissenschaftleroder Künstler zu werden, während die Aufmerksamkeit für das Detail von Vorteil ist, um ein Anwalt, Buchhalter oder Lektor zu werden.
Bei der Sprache können sich normale Kinder gut den Kern einer Botschaft einprägen: die Schlüsselstellen, die es einfacher machen, sich die Information zu merken. Beim Gespräch bedeutet eine schwache zentrale Kohärenz, dass sich die Person die Details einprägt, aber nicht die gesamte Geschichte; erzählt sie selbst etwas, erhält der Zuhörer oft unwichtige Informationen statt einer Zusammenfassung der relevanten Ereignisse.
Verhalten in sozialen Situationen
Wenn eine Person eine starke statt einer schwachen zentralen Kohärenz hat, erkennt sie leichter, was in einer Situation relevant und was redundant ist. Kommt eine normale Person in einen großen Raum mit zahlreichen Personen, nimmt sie bevorzugt die Dinge und Menschen wahr, die für sie persönlich wichtig sind. Wir haben ein System der Prioritäten, wobei normalerweise die
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