Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
möchte ich zum Abschluss eine mögliche Beschreibung von Jack als Erwachsene geben, basierend auf meiner Erfahrung mit vielen tausend Kindern und Erwachsenen mit Asperger-Syndrom und meiner Beobachtung der Entwicklung von Kindern über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg.
Es klopfte an die Tür des Büros. Der neue Personalleiter wusste, das musste Dr. Jack Johnstone sein, der seinen Jahresbericht abliefern wollte. Die Kollegen hatten bereits viel über Jack erzählt und nun war er gespannt darauf, ihn einmal selbst kennenzulernen. Das Unternehmen produzierte Energiespeichersysteme und Jack arbeitete an einem neuen Speichersystem für Autos, das alte benzingetriebene Motoren ablösen sollte. Normalerweise arbeiteten in der Forschungsabteilung immer Teams zusammen, Jack dagegen arbeitete lieber alleine.
Die Zugangskontrolle kannte Jack gut: Er arbeitete in der Forschungsabteilung oft bis spät in die Nacht. Jack erklärte seinem Vorgesetzten, dass er am besten arbeiten könne, wenn es ruhig im Gebäude sei und er durch niemanden durch Smalltalk über das letzte Fußballspiel oder die Beine der neuen Sekretärin gestört werde.
Was enthielt seine umfangreiche Personalakte?
Jacks Personalakte lag vor dem Personalchef auf dem Tisch. Es war die umfangreichste Akte, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Sie enthielt die Grundinformationen zu seiner Qualifikation, Belege seines Doktortitels als Elektroingenieur und Zeugnisse von früheren Arbeitgebern, die ihm Ehrlichkeit, Integrität und Entschlossenheit attestierten. In der Akte standen aber auch Anmerkungen des vorherigen Personalchefs, die dem Vorgesetzten und dem Unternehmen Hilfestellungen gaben. Darin wurde kurz das Asperger-Syndrom erläutert und auch, wie sich dieses Syndrom auf Jacks Persönlichkeit und Fähigkeiten auswirkt. Die Diagnose erhielt Jack 2005 im Alter von 9 Jahren und er wurde an der Schule entsprechend unterstützt und konnte seine zwischenmenschlichen Fähigkeiten verbessern. In speziellen Förderklassen konnte er sein technisches Talent weiterentwickeln. Jetzt schrieb man dass Jahr 2028 und zwei Jahre zuvor war Jack von der Universität in die Industrie gewechselt.
Umfangreiches Wissen, unkonventionelle Ideen und Ehrgeiz
Es gab eine detaillierte Beschreibung seiner Stärken: Er hatte ein umfangreiches Wissen, verfügte über unkonventionelle Lösungsansätze und Denkweisen und setzte hohe Maßstäbe an die eigene Arbeit. Daneben standen aber auch Ratschläge inBezug auf seine Schwierigkeiten bei der Teamarbeit, seine Direktheit und seinen Problemen bei plötzlich auftretenden Veränderungen am Arbeitsplatz. Seine Ideen haben sich aber als sehr vorteilhaft für die Firma erwiesen: Sie konnte ihren Gewinn steigern, nachdem er eine neue, langlebige Batterie für Spielekonsolen entwickelt hatte. Er galt als exzentrisch, aber zugleich als wertvoller Mitarbeiter.
Jack war Anfang dreißig, lebte aber noch bei seinen Eltern
Manchmal tuschelte man über ihn. Er war Anfang dreißig, lebte noch bei seinen Eltern und hatte eine Freundin, über die er manchmal sprach, Alicia, die er bereits seit der Grundschule kannte. Er hatte einen relativ kleinen Freundeskreis, ist aber nie eine längere Beziehung eingegangen. Er hat sich ganz seiner Forschung gewidmet und tat sich mit sozialen Aktivitäten schwer: Bei der letzten Weihnachtsfeier ist er schon nach 20 Minuten wieder gegangen. Er sagte, er müsse nach Hause, denn dort warteten seine Koalas auf ihn, die er mit frischen Eukalyptusblättern versorgen musste – Beuteltiere gehörten zu seinen Spezialinteressen. Vor sechs Monaten wurde in der Buchhaltung eine neue Kollegin eingestellt. Sie war alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und sehr beliebt, weil sich die Mitarbeiter in ihrer Gegenwart immer sehr entspannt fühlten. Ihre sorgfältige und effiziente Buchführung wurde allgemein anerkannt und geschätzt. Sie traf Jack, als er ihr seinen Bogen mit den monatlichen Ausgaben übergab und seitdem änderte sich das Leben für beide dramatisch. Sie wollen im nächsten Monat heiraten.
Er hatte sich lange nicht rasiert und begann sofort mit einem Monolog
Der Personalchef sagte: »Kommen Sie herein!« und Jack trat in das Zimmer. Er wusste nicht recht, was er von Jack erwarten sollte, aber die Person, die nun vor ihm stand, war auf jeden Fall bemerkenswert. Das Haar war ungekämmt und er hatte sich seit Tagen nicht rasiert. In den Taschen seines Hemdes steckten mindestens vier Bleistifte, zwei Füller und ein
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