Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
Menschen mit dem Syndrom liest.
Es gibt einen Elternteil, Partner oder Freund, der emotionale und praktische Hilfe leistet, Schwierigkeiten überbrückt und sich ein Leben lang für die Person einsetzt.
Die Person ist im Beruf oder in ihrem Spezialinteresse erfolgreich, was die sozialen Herausforderungen ausgleicht. Sozialer Erfolg wird für denjenigen immer weniger wichtig und das Gefühl des eigenen Wertes wird eher durch die eigene Leistung als durch die sozialen Kontakte definiert. Das macht auch Temple Grandin deutlich: »Ich weiß, dass mir einige Dinge in meinem Leben fehlen, aber ich habe eine aufregende Karriere, die mich jede Stunde meines Lebens beschäftigt. Ich halte mich ständig auf Trab und denke deshalb meist gar nicht an das, was mir fehlen könnte. Fachkräfte und Eltern machen sich manchmal zu viele Sorgen um das Sozialleben autistischer Erwachsener. Ich knüpfe soziale Kontakte über meine Arbeit. Wenn jemand seine Begabungen nutzt, dann wird er auch Kontakte knüpfen zu anderen Menschen, die diese Interessen mit ihm teilen.« 21
Die Person kann schließlich ihre Stärken und Schwächen annehmen und wünscht sich nicht länger, jemand zu werden, der sie nicht sein kann. Ihr wird klar, dass sie Stärken hat, die von anderen bewundert werden.
Es kann eine natürliche Besserung eintreten. So, wie es Menschen gibt, die spät mit dem Reden oder Laufen anfangen, kann es Menschen geben, die spät anfangen, soziale Kontakte zu knüpfen. »Spät« kann hierbei allerdings mehrere Jahrzehnte bedeuten. Schließlich kann derjenige aber seine Ziele erreichen.
Fachkräfte haben oft vor allem mit denjenigen zu tun, die besondere Schwierigkeiten haben. Das kann dazu führen, dass die langfristige Entwicklung zu pessimistisch gesehen wird. Das Asperger-Syndrom ist aber eine Entwicklungsstörung und derjenige kann durchaus lernen, seine Fähigkeiten in Bezug auf den sozialen Umgang, Gespräche und das Verstehen der Gedanken und Gefühle anderer zu verbessern.
Ich kenne viele Erwachsene, denen es schließlich gelungen ist, intellektuell die Mechanismen des sozialen Miteinanders zu erfassen. Nur die Familie und die engsten Freunde dieser Menschen ahnen, welche Anstrengungen es gekostet hat, zu einer so gelungenen sozialen Integration zu gelangen.
Soziale Integration
Aus meiner langjährigen klinischen Erfahrung weiß ich, dass bei einigen Erwachsenen die auffälligsten Symptome des Asperger-Syndroms mit der Zeit zurückgehen. Es gibt ein Kontinuum autistischer Verhaltensweisen, das von der völligen Zurückgezogenheit eines stillen Kindes bis hin zum Asperger-Syndrom reicht. Den Bereich des Kontinuums zwischen dem Asperger-Syndrom und den normalen Menschen beginnen wir dagegen erst allmählich zu verstehen. Einige Menschen mit Asperger-Syndrom haben derartige Fortschritte erzielt, dass die Unterschiede zu nichtautistischen Menschen kaum mehr wahrnehmbar sind. Es handelt sich dann im Grunde nur noch um eine Persönlichkeitsvariante, nicht mehr um eine psychologische Diagnosekategorie, die einer Behandlung bedürfte. Digby Tantam benutzt den Begriff »lebenslange Exzentrik«, um die langfristige Entwicklung solcher Menschen zu beschreiben. 22 Dabei wird der Begriff Exzentrik nicht im abwertenden Sinne verstanden.
Es gibt immer eine logische Erklärung für das scheinbar exzentrische Verhalten von Menschen mit Asperger-Syndrom. Mir sind meine Freunde und Verwandten mit Asperger-Syndrom wichtig. Ich sehe solche Menschen als einen leuchtenden Faden im bunten Teppich des Lebens. Unsere Zivilisation wäre furchtbar langweilig und steril, wenn wir keine Menschen mit Asperger-Syndrom hätten und sie nicht wertschätzen würden.
AUS DEM LEBEN
»Ich habe ein Netz wunderbarer Freunde«
Sean Barron beschreibt, was für viele Menschen mit Asperger-Syndrom möglich ist:
»Zum Glück habe ich die sozialen Verbindungen, die ich so verzweifelt ersehnt hatte, knüpfen können. Meine Beziehung zu meiner Familie ist außergewöhnlich. Ich habe ein Netz wunderbarer Freunde, einen Beruf als Zeitungsreporter, der mich intellektuell ausfüllt, und treffe mich seit 2003 regelmäßig mit einer Frau. All diese Menschen haben einen positiven Einfluss auf mein Leben.« 23
Wie könnte es Jack ergehen?
Ich habe dieses Buch mit der fiktiven Beschreibung eines Jungen mit Asperger-Syndrom begonnen. Jack besuchte die Geburtstagsparty seiner Schulfreundin Alicia. Eltern werden sich fragen: Wie könnte die Zukunft von Jack aussehen? Daher
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