Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
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Einige Kinder und Erwachsene sind relativ leicht zu diagnostizieren. Ein Spezialist kann bereits binnen weniger Minuten eine positive Diagnose vermuten. Doch ist eine vollständige diagnostische Beurteilung erforderlich, um den ursprünglichen klinischen Eindruck zu bestätigen.
Bei einigen Mädchen und Frauen mit Asperger-Syndrom und bei Erwachsenen mit hohen intellektuellen Fähigkeiten kann die Diagnose schwieriger sein, weil sie in der Lage sind, ihre Schwierigkeiten zu überdecken.
Die vollständige diagnostische Beurteilung kann eine Stunde oder länger in Anspruch nehmen, je nachdem welche und wie viele Beurteilungsverfahren nötig sind. Erfahrenere Fachkräfte können die Dauer der diagnostischen Beurteilung jedoch deutlich abkürzen. In den folgenden Abschnitten werde ich auf einige der Beurteilungsverfahren eingehen, die ich benutze, um bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu untersuchen.
Auch die besonderen Stärken sollten untersucht werden
Die diagnostische Beurteilung sollte nicht nur diejenigen Bereiche untersuchen, in denen Schwierigkeiten bestehen, sondern auch diejenigen, in denen Stärken auftreten, die für das Asperger-Syndrom charakteristisch sind. Das gilt beispielsweise für ein Kind, das Auszeichnungen für seine Kenntnisse in einem bestimmten Spezialinteresse bekommen hat, indem es etwa einen Mathematik- oder Kunstwettbewerb gewonnen hat. Eine solche Person kann vielleicht auch mit fotografischer Genauigkeit zeichnen oder Computerspiele erfinden. Die Fachkraft sollte die Eltern nach besonders liebenswerten Merkmalen ihres Sohnes oder ihrer Tochter fragen. Möglicherweise ist das Kind besonders freundlich, hat einen ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit oder kümmert sich außergewöhnlich gut um Tiere.
Gesprächsleitfaden DISCO
Das Diagnostic Interview for Social and Communication Disorders (Diagnostisches Interview für soziale und Kommunikationsstörungen; DISCO) ist ein Hilfsmittel für Fachkräfte, mit dem sie detaillierte Informationen über die Entwicklungsgeschichte und den gegenwärtigen Zustand der Person systematisch sammeln können. Die Fachkraft kann es verwenden, um Störungen des autistischen Spektrums und verwandte Entwicklungsstörungen bei Kindern und Erwachsenen aller Altersklassen zu diagnostizieren. 30 Das DISCO ist nur für Fachleute zugänglich, die in der korrekten Handhabung ausgebildet sind.
Die gegenwärtigen Diagnosekriterien
Fachärzte und Psychologen verwenden für gewöhnlich die Kriterien des DSM-IV, wenn sie eine diagnostische Beurteilung von Entwicklungsstörungen wie dem Asperger-Syndrom vornehmen. [Dies gilt überwiegend für den englischsprachigen Raum. Im deutschsprachigen Raum sind die ICD-10-Diagnosekriterien der WHO genauso gebräuchlich.] Die Kriterien für das Asperger-Syndrom (oder die Asperger-Störung) nach dem DSM-IV (Version von 2000) zeigt die Tabelle auf Seite 53.
Der Text des DSM-IV, der dazu gedacht ist, die Kriterien zu ergänzen, bietet nur kursorische Richtlinien für den diagnostischen Prozess und eine oberflächliche Beschreibung der Störung. Wenn eine Fachkraft nur die DSM-IV-Kriterien als einzige Informationsquelle für eine Diagnose nutzen würde, würde sie eine unzureichende Kenntnis des Asperger-Syndroms beweisen und könnte keine verlässliche Diagnose stellen.
Ausbildung, Supervision und umfassende klinische Erfahrung im Hinblick auf die Erscheinungsformen des Asperger-Syndroms sind entscheidend für den Spezialisten, um die Diagnose sicher stellen zu können.
Kritik an den DSM-IV-Diagnosekriterien
Fachkräfte begrüßten die Aufnahme der Asperger-Störung in das DSM-IV. Ebenso positiv war die Entscheidung, die tief greifenden Entwicklungsstörungen, einschließlich Autismus und Asperger-Syndrom, von Achse II (eine Achse für langfristige, stabile Störungen mit relativ schlechter Prognose für Verbesserungen) auf Achse I (bei der die Symptome im Fall früher Intervention und Behandlung verbessert werden können) zu verschieben. Es gibt aber auch Kritikpunkte an den DSM-IVKriterien, insbesondere an den Kriterien zur Differenzialdiagnose, mit denen zwischen einer Autismus- und einer Asperger-Diagnose unterschieden wird.
Kriterium D: Sprachverzögerung
Logopäden kritisieren die gegenwärtigen Kriterien des DSM-IV, weil dort als Vorbedingung für eine Diagnose Asperger-Syndrom für Kinder und Erwachsene festgehalten ist: »Es existiert keine klinisch bedeutsame allgemeine Sprachverzögerung (z. B.
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