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Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Titel: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Attwood
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werden Fachärzte und Psychologen in aller Regel eine Diagnose Asperger-Syndrom stellen. 40 Man muss sich immer vor Augen halten, dass die Diagnosekriterien stets der Weiterentwicklung unterworfen sind.

Warum ist die Diagnose bei Mädchen oft schwieriger?
    Die Mehrheit der Kinder, die zur diagnostischen Klärung des Asperger-Syndroms überwiesen werden, sind Jungen. Seit 1992 leite ich in Brisbane in Australien eine Asperger-Klinik. Eine Analyse von über 1000 diagnostischen Beurteilungen der letzten 12 Jahre führte zu einer Verteilung männlich zu weiblich von 4:1.
    Meiner klinischen Erfahrung nach sind Mädchen mit Asperger-Syndrom schwieriger zu erkennen und zu diagnostizieren, weil sie Mechanismen zur Bewältigung und zur Überspielung des Asperger-Syndroms entwickeln, was allerdings auch bei einigen Jungen der Fall ist. Einer dieser Bewältigungsmechanismen ist es zu lernen, wie man sich in einer sozialen Umgebung verhält. Liane Holliday Willey beschreibt dies in ihrer Autobiografie »Ich bin Autistin – aber ich zeige es nicht«. 51
    Der Psychologe sieht dann jemanden, der scheinbar in der Lage ist, ein wechselseitiges Gespräch zu führen und angemessene Gefühle und Gesten während der Unterhaltung zu zeigen. Würde man aber weiter nachforschen, wie diese Person sich in der Schule verhält, käme man zu dem Ergebnis, dass das Kind eine soziale Rolle und ein »Skript« übernimmt: Es gleicht seine Persönlichkeit den Merkmalen einer anderen Person an, die in einer solchen Situation normalerweise gute soziale Fähigkeiten beweist; wobei eher die intellektuellen Fähigkeiten und weniger die Intuition genutzt werden, um zu bestimmen, was man sagen oder tun soll.
Viele Mädchen beherrschen Tarnstrategien
    Ein Beispiel einer solchen Tarnstrategie ist es, die eigene Verwirrung beim Spielen mit Gleichaltrigen dadurch zu überdecken, dass man Angebote, sich zu beteiligen, höflich ablehnt, bis man sich sicher ist, wie man sich zu verhalten hat, um nicht aufzufallen. Die Strategie besteht darin zu warten, genau zu beobachten und sich nur dann zu beteiligen, wenn man weiß, was zu tun ist, indem man das imitiert, was die anderen Kinder zuvor getan haben. Wenn aber die Spielregeln oder die Art des Spiels sich plötzlich ändern, ist das Kind ratlos.
Passiv sein und gut beobachten
    Mädchen können dabei die Fähigkeit entwickeln, in einer großen Gruppe zu »verschwinden« und sich nur am Rande der sozialen Interaktion zu bewegen. Eine Frau mit Asperger-Syndrom sagte einmal, als sie sich an ihre Kindheit erinnerte, dass sie sich fühlte, als würde sie »von außen zuschauen«. Es gibt noch andere Strategien zur Vermeidung aktiver Teilnahme an den Vorgängen im Klassenraum, etwa, sich besonders gut erzogen und höflich zu benehmen und dadurch von Lehrern undMitschülern in Ruhe gelassen zu werden; oder es werden passive Taktiken zur Vermeidung von Mitarbeit und sozialer Teilhabe in der Schule und zu Hause genutzt, wie sie für eine Störung beschrieben werden, die man Pathological Demand Avoidance (Pathologische Vermeidung von Anforderungen) nennt. 52
Unkomplizierte Freundschaft
    Ein Mädchen mit Asperger-Syndrom wird sich bei Freundschaften weniger »zickig« und »schwierig« zeigen als andere Mädchen und wird auch eher als Jungen dazu neigen, eine enge Freundschaft mit jemandem einzugehen, der sich zu einem solchen sozial naiven, aber »sicheren« Mädchen hingezogen fühlt. Diese Eigenschaften führen dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit verringert, dass ein solches Mädchen eines der Hauptdiagnosekriterien für das Asperger-Syndrom aufweist, nämlich die Unfähigkeit, Beziehungen zu Gleichaltrigen einzugehen. Bei Mädchen liegt hier keine Unfähigkeit, aber ein qualitativer Unterschied in dieser Fähigkeit vor. Die Probleme im sozialen Verständnis werden erst dann offenbar, wenn ihr Freund und Helfer auf eine andere Schule wechselt.
Die Themen des Spezialinteresses sind häufig »mädchentypisch«
    Das sprachliche und kognitive Profil von Mädchen mit Asperger-Syndrom ist dasselbe wie das von Jungen, doch die Spezialinteressen sind meist weniger exzentrisch. Hier fällt nur die extreme Ausprägung ins Auge. Für Mädchen ist es nicht ungewöhnlich, sich mit Pferden zu beschäftigen, allerdings kann es sein, dass das Asperger-Mädchen seine Matratze in den Stall legt, damit es an der Seite des Pferdes schlafen kann. Wenn es sich für Puppen interessiert, hat es vielleicht über 50 Barbie-Puppen, alphabetisch

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