Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
vielleicht Antworten, die scheinbar Empathie und die Fähigkeit zu sozialem Verständnis beweisen, doch sieht man genauer hin, erkennt man, dass diese Antworten, die nach kurzer Verzögerung gegeben werden, das Ergebnis von intellektueller Analyse und nicht von Intuition sind. Der hierfür erforderliche Denkprozess führt zu dem Eindruck, dass die Antwort eher überlegt als spontan erfolgt.
Einige Erwachsene mit klaren Symptomen des Asperger-Syndroms halten ihre eigenen Fähigkeiten möglicherweise für ziemlich normal, weil ein Elternteil ebenfalls Symptome des Asperger-Syndroms hatte.
AUS DEM LEBEN
Nur gute Eigenschaften zugeben
So beschrieb Ben etwa Folgendes:
»Ich habe mich immer für das geschämt, was ich war, also habe ich nie die Wahrheit über irgendetwas gesagt, das mir peinlich sein könnte. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob ich Probleme damit hätte, andere zu verstehen, hätte ich geantwortet: «Nein», obwohl die richtige Antwort «Ja» gewesen wäre. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob ich sozialen Kontakt vermeide, hätte ich geantwortet: «Nein», weil ich nicht gewollt hätte, dass Sie mich für verrückt halten. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob es mir an Empathie fehlt, hätte ich mich beleidigt gefühlt, weil doch jeder weiß, dass man als guter Mensch Empathie empfindet und als schlechter Mensch nicht. Ich hätte geleugnet, dass ich Angst vor lauten Geräuschen hätte, dass ich eng begrenzte Spezialinteressen hätte und dass mich Änderungen in meiner Routine aufregen. Die einzigen Fragen, die ich mit «Ja» beantwortet hätte, wären die, ob ich ein gutes Langzeitgedächtnis für Ereignisse und Fakten hätte, ob ich gerne Bücher lese, um mich zu informieren; und ob ich mich wie ein wandelndes Lexikon fühle. Das hätte ich deswegen bejaht, weil mir diese Dinge an mir gefallen. Ich dachte, dadurch wirke ich klug. Wenn ich geglaubt hätte, dass es eine gute Eigenschaft wäre, hätte ich «Ja» gesagt, wenn ich geglaubt hätte, dass es eine schlechte Eigenschaft wäre, hätte ich «Nein» gesagt.« 53
Das Adult Asperger Assessment (AAA)
Inzwischen haben wir ein Beurteilungsverfahren und Diagnosekriterien speziell für Erwachsene. 54 Das Adult Asperger Assessment (Beurteilung für erwachsene Asperger-Betroffene) oder AAA verwendet zwei Screening-Verfahren, den Autism Spectrum Quotient (Autismus-Spektrum-Quotienten; ASQ) und den Empathy Quotient (Empathie-Quotienten; EQ) sowie neue Diagnosekriterien speziell für Erwachsene. Diese Kriterien beinhalten die DSM-IV-Kriterien und verschiedene weitere Kriterien. Die ursprüngliche Forschung für das AAA wurde von Simon Baron-Cohen und seinen Mitarbeitern am Cambridge Lifespan Asperger Syndrome Service (CLASS) in Großbritannien durchgeführt. Der Spezialist bat dabei die Klienten, die ASQ- und EQ-Fragebögen auszufüllen, bestätigte dann die Antworten während der diagnostischen Beurteilung und bildete sich dann seine eigene Meinung in Bezug auf die Diagnose auf der Grundlage der neuen Diagnosekriterien.
Diagnosekriterien der AAA
Die Diagnosekriterien der AAA sind dieselben wie die im DSM-IV (Seite 53), wobei zehn zusätzliche Kriterien ergänzt werden, die sich aus unserem Verständnis von autistischen Erwachsenen ergeben. Bei den AAA-Diagnosekriterien gibt es zwei Abschnitte, die in den DSM-IV-Kriterien für Autismus, jedoch nicht in den DSM-IV-Kriterien für Asperger-Syndrom enthalten sind. Diese Abschnitte wurden wohlüberlegt in die AAA-Kriterien übernommen,wobei das Profil der Kommunikations- und Vorstellungsfähigkeiten, das in den Forschungsstudien und in der klinischen Erfahrung identifiziert wurde, als für Erwachsene mit Asperger-Syndrom charakteristisch zugrunde gelegt wurde. Die folgende Tabelle beschreibt die Ergänzungen.
Die Antworten des Erwachsenen auf bestimmte Fragen im ASQ und EQ bieten Beispiele für Symptome in den Abschnitten des AAA. Zukünftige Untersuchungen werden sich mit der Zielgenauigkeit und Sensitivität des AAA befassen, doch zumindest haben wir nun ein Beurteilungsverfahren und Diagnosekriterien, die eine Fachkraft bei der diagnostischen Beurteilung von Erwachsenen verwenden kann.
Ergänzende Diagnosekriterien für Erwachsene
In Abschnitt A der DSM-IV-Kriterien (qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion) gibt es das folgende zusätzliche Kriterium:
Schwierigkeiten beim Verständnis von sozialen Situationen und von Gedanken und Gefühlen anderer Menschen.
In Abschnitt B der DSM-IV-Kriterien
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