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Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Titel: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Attwood
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hier Hilfestellungen anbieten und als Vertrauensperson und Anwalt agieren. Der Mentor kann auch helfen zu erkennen, wie viel echtes Interesse an einer Freundschaft bei dem Kollegen besteht. Manchmal nehmen Menschen mit Asperger-Syndrom an, dass eine freundliche Handlung, ein Lächeln oder eine nette Geste weitergehende Implikationen hat, als mit ihr beabsichtigt gewesen ist. Das kann dann dazu führen, dass er ein intensives Interesse oder gar eine Verliebtheit gegenüber einer Person entwickelt, die einfach nur freundlich sein wollte.
Die Dauer eines sozialen Kontakts
    Jeder von uns hat eine begrenzte Kapazität, was die Dauer von sozialen Kontakten angeht. Ich verwende da die Metapher eines »sozialen Eimers«. Einige normale Menschen haben einen sehr großen sozialenEimer, der einige Zeit braucht, bis er voll ist, während die Person mit Asperger-Syndrom nur eine Tasse hat, die natürlich viel schneller voll ist. Die üblichen sozialen Begegnungen können für jemanden mit Asperger-Syndrom zu lange dauern, besonders, da er sozialen Erfolg eher durch intellektuelle Anstrengung als durch natürliche Intuition erreichen muss. Soziale Kontakte sind anstrengend.
    Die Person mit Asperger-Syndrom fühlt sich wohler, wenn soziale Interaktionen kurz und zweckgerichtet sind. Wenn dieser Zweck erreicht ist, möchte sie die Interaktion oder Teilnahme am liebsten beenden. Es ist wichtig, dass andere durch ein abruptes Ende eines Gesprächs oder einer sozialen Zusammenkunft nicht vor den Kopf gestoßen werden, da eine Beleidigung nicht beabsichtigt ist. Die Person muss gehen, weil sie erschöpft ist, nicht, weil sie keine Rücksicht nehmen möchte.
    Ein weiteres Merkmal, dass die Dauer sozialer Kontakte beeinflusst, ist die Schwierigkeit, die Menschen mit Asperger-Syndrom damit haben, jemanden zu finden, mit dem sie sich gerne unterhalten und mit dem sie gerne die Zeit verbringen wollen. Darren sagte zu mir dazu: »Ich bin nicht asozial, ich komme nur selten mit Leuten zusammen, die ich mag.«

Wie gut entwickelt sich das soziale Verständnis?
    Hans Asperger schrieb: »Normale Kinder erwerben sich die nötigen sozialen Gewohnheiten, ohne dass ihnen das meiste davon zu Bewusstsein kommt – sie lernen unbewusst, instinktiv. Gerade diese über den Instinkt sich abspielenden Beziehungen sind aber bei den autistischen Kindern gestört … Über den Intellekt muss denn auch bei ihnen die soziale Anpassung gehen …« 37
Gemeinsam die soziale Welt erforschen
    Es gibt wohl zwei Wege, um eine Fähigkeit zu erlangen – Intuition oder bewusstes Lernen. Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom werden einen Unterricht in bestimmten sozialen Fähigkeiten benötigen. Ich empfehle, dass der Lernprozess eine Erklärung des Hintergrunds bestimmter sozialer Regeln einschließt. Das Kind mit Asperger-Syndrom wird sein Verhalten erst dann ändern, wenn ihm der Grund dafür logisch erscheint. Der Lehrstil basiert dabei darauf, dass man gemeinsam eine Entdeckung in der sozialen Welt macht. Die Person mit Asperger-Syndrom ist beinahe ein Anthropologe, der eine neu entdeckte Kultur erforscht; und der »Lehrer« oder Vertreter dieser Kultur wird die Perspektive, die andere Art zu denken und die Kultur der Person mit Asperger-Syndrom entdecken und wertschätzen müssen.
Es ist wichtig, dass dabei die eine Kultur nicht als höherwertig gegenüber der anderen gesehen wird.
    Die Menschen mit Asperger-Syndrom können in normalen Menschen eine Art soziale Eiferer sehen, die davon ausgehen, dass jeder ohne Anstrengung soziale Kontakte knüpfen kann und sollte und dass jeder, dem soziale Kontakte nicht wichtig sind oder der darin keine guten Leistungen vollbringt, als gestört zu gelten hat und man sich über ihn lustig machen und ihn korrigieren soll. Es muss einen Kompromiss zwischen den beiden Kulturen geben. Es ist so, dass die Menschen in der normalen Kultur im Stil »sozialer Telegramme« kommunizieren und annehmen, das Gegenüber müsse ohne weiteres die Kurzsprache zu sinnvollen Sätzen ergänzen können.
Soziale Regeln werden nicht intuitiv erfasst
    Eine solche Annahme kann aber nicht gelten, wenn man es mit einer sozialen Interaktion mit jemandem zu tun hat, der das Asperger-Syndrom hat. Es ist außerdem so, dass sich normale Menschen manchmal beschweren, dass die Person mit Asperger-Syndrom sich schwer damit tut, zu erklären, warum er oder sie etwas getan hat, das sozialen Regeln widerspricht; umgekehrt sind aber auch normale Menschen nicht sehr

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