Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
schnell mit den Aufgaben, die an ihn herangetragen werden, überfordert ist.
In Gesprächen kann es zu Verzögerungen kommen
Die Tatsache, dass diese Menschen eher eine bewusste mentale Analyse statt Intuition verwenden, verzögert die Antworten. In einem Gespräch kann die Person mit Asperger-Syndrom unter Umständen bestimmte Aspekte, die ToM-Fähigkeiten erfordern, nur langsam verarbeiten. Das führt zu einer verzögerten Reaktion, sodass die Gesprächspartner leicht aus dem Takt geraten können und sich entsprechend anpassen müssen. Das kann dazu führen, dass das Gegenüber die Person mit Asperger-Syndrom als besonders formell und pedantisch wahrnimmt oder sogar den Eindruck gewinnt, dass sie intellektuell zurückgeblieben ist.
Ich habe außerdem bemerkt, dass ToM-Fähigkeiten bei Menschen mit Asperger-Syndrom durch die Komplexität der Situation, die Geschwindigkeit der sozialen Interaktion und das Maß an Stress beeinflusst werden können. In großen Gruppen kann die Menge an sozialer Information für einen Menschen mit Asperger-Syndrom überwältigend sein. Dieser hat dann zwar vielleicht gute ToM-Fähigkeiten, ihm fällt es aber schwer, zu bestimmen, welche Signale relevant und welche unwichtig sind.
Das Interaktionstempo anpassen
Die Zeit, die benötigt wird, um soziale Informationen zu verarbeiten, entspricht etwa der Zeit, die man braucht, um fremdsprachliche Informationen in einem Gespräch mit einem Muttersprachler zu verarbeiten. Wenn dieser Muttersprachler zu schnell spricht, dann versteht der Zuhörer nur noch Bruchstücke des Gesagten. Ich habe mir daher angewöhnt, mein Tempo der Interaktion bei Menschen mit Asperger-Syndrom dessen Verarbeitungskapazität sozialer Hinweise anzupassen.
Wenn er entspannt ist, kann auch ein Mensch mit Asperger-Syndrom Informationen über den sozialen Status anderer Personen leichter verarbeiten. Wenn er aber unter Stress steht, sinkt die Leistung natürlich. Das kann sich auch auf Testergebnisse in Bezug auf ToM-Fähigkeiten auswirken und kann die Diskrepanzen erklären, die manchmal zwischen den formalen Kenntnissen, die in einer künstlichen Testsituation gezeigt werden, und der komplexeren Situation im realen Leben, wo flüchtige soziale Hinweise und größerer Stress vorherrschen, bestehen.
Erschöpfung
Wir wissen, dass sich der Erwerb von ToM-Fähigkeiten bei Menschen mit Asperger-Syndrom verzögern kann und dass sie mit der Zeit auch komplexe ToM-Fähigkeiten entwickeln können. Wir müssen aber auch das Maß an geistiger Anstrengung anerkennen, das von diesen Menschen verlangt wird, um soziale Informationen zu verarbeiten. Die Nutzung kognitiver Mechanismen, um beeinträchtigte ToM-Fähigkeiten zu kompensieren, führen zu geistiger Erschöpfung. Begrenzter sozialer Erfolg, geringes Selbstwertgefühl und Erschöpfung können die Entstehung einer Depression begünstigen. Eine meiner Klientinnen beschrieb ihre Erschöpfung nach anstrengender sozialer Interaktion mit den Worten: »I’m all peopled out.«
ToM-Fähigkeiten fördern
Heute stehen uns mehrere Strategien zur Verbesserung von ToM-Fähigkeiten zur Verfügung, insbesondere die Social Stories (siehe Seite 89). Die perspektivischen Sätze einer Social Story bieten wertvolle Informationen, um ToM-Fähigkeiten zu entwickeln. Sie beschreiben das Wissen, die Gedanken, die Ansichten und die Gefühle einer Person, die in der jeweiligen Situation von Bedeutung sind. Eines der entscheidenden Elemente bei der Vorbereitung und beim Schr eib en einer Social Story ist der Erwerb von Informationen über die Perspektive aller Teilnehmer, insbesondere die des Kindes mit Asperger-Syndrom. Ein Wörterbuch für Social Stories kann das Wissen und das Vokabular im Hinblick auf Begriffe, die mentale Zustände beschreiben, verbessern. Außerdem können Begriffe wie »wissen«, »vermuten«, »erwarten« und »Meinung« durch eine entsprechende Bebilderung erklärt werden.
Sie können Social Stories auch in Übungen für bestimmte ToM-Fähigkeiten verwandeln; so kann ein Kind etwa die folgenden Sätze vollenden:
Ich rede oft über Eisenbahnen. Ich denke oft über____________nach.
Ich rede oft über Busfahrpläne. Ich denke oft über____________nach.
Matt redet oft über Dinosaurier. Ich schätze, Matt denkt oft über____________nach.
Matt mag es vielleicht, wenn ich ihm Fragen über____________stelle.
Social Stories sind eine Strategie, die vermutlich zur Verbesserung von ToM-Fähigkeiten beitragen, allerdings gibt es
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