Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
nicht gleich – und vielleicht auch überhaupt nicht – daran, dass ein anderer wissen könnte, was in so einem Fall zu tun ist. Vielleicht steht sogar jemand, der helfen könnte, unmittelbar daneben, doch das Kind ist darauf fixiert, das Problem selbst zu lösen.
Schwierigkeiten, Konflikte zu lösen
Während die Kinder sich entwickeln, werden sie auch zunehmend reifer im Hinblick auf ihre Fähigkeit, andere zu überzeugen, Kompromisse zu schließen und Konflikte zu regeln. Sie können zunehmend die Perspektive anderer nachvollziehen und erkennen, wie sie deren Gedanken und Gefühle durch konstruktive Strategien beeinflussen können. Konflikte erfolgreich zu regeln, erfordert beträchtliche ToM-Fähigkeiten und daher kann man erwarten, dass Menschen mit Asperger-Syndrom hier besondere Schwierigkeiten haben. Wenn man konfliktträchtige Situationen verfolgt, erkennt man, dass Kinder mit Asperger-Syndrom dabei eher unreif agieren, über wenig unterschiedliche Verhandlungsmittel verfügen und eher konfrontativ vorgehen. Sie greifen eher auf »primitivere« Konfliktlösungsstrategien wie emotionale Erpressung oder das unflexible Festhalten am eigenen Standpunkt zurück. Sie erkennen nicht, dass sie ihre Ziele eher mit Freundlichkeit erreichen können. Nach einem Streit zeigt ein solches Kind dann mitunter auch weniger Reue oder es erkennt nicht, dass es mit einer Entschuldigung dazu beitragen kann, dass sich die andere Person besser fühlt.
Typische Verhaltensweisen und Einstellungen
Warum haben Kinder mit Asperger-Syndrom oft Schwierigkeiten, Konflikte zu lösen?
Sie können sich die Perspektive und die Prioritäten anderer nicht vorzustellen.
Die Fähigkeit, andere zu überzeugen, ist begrenzt.
Sie neigen zu konfrontativem und rigidem Verhalten.
Sie revidieren ungern eine Entscheidung oder geben Fehler zu.
Sie werden ungern unterbrochen.
Sie empfinden einen Zwang, Dinge zu vollenden.
Sie neigen dazu, eher zu bestrafen statt zu loben.
Sie neigen dazu, Aufgaben aus dem Weg zu gehen.
Sie kennen keine alternativen Strategien.
Daher scheinen Kinder mit Asperger-Syndrom Entscheidungen anderer Menschen Widerstand entgegenzusetzen und deren Prioritäten und Argumente zurückzuweisen. Sie halten ihre eigene Entscheidung oft so lange aufrecht, bis der andere aufgibtund sie übersehen die Zeichen, die darauf hinweisen, dass es besser wäre, den Streit nicht fortzusetzen. Andere Kinder können die Perspektive ihrer Freunde erkennen und sind in der Lage, der Freundschaft zuliebe auf Wünsche des Freundes einzugehen. Kinder mit Asperger-Syndrom und ihre Freunde benötigen dagegen vielleicht Hilfestellungen bei der Frage, wann und wie sie Bitten äußern, der Meinung und den Prioritäten des anderen zuhören und sie aufnehmen, gemeinsame Kompromisse aushandeln und die Entscheidung eines Schiedsrichters einholen und akzeptieren können. Vor allem müssen sie lernen, die Situation nicht durch Gefühle, insb esondere durch Wut, zu verschärfen. Rollenspiele können verwendet werden, um unangemessene und angemessene Konfliktlösungsstrategien zu illustrieren.
Introspektion und Selbstwahrnehmung
Uta Frith und Francesca Happé 14 sind der Ansicht, dass Kinder mit Asperger-Syndrom wegen der Unterschiede beim Erwerb und in der Art der ToM-Fähigkeiten eine andere Art der Selbstwahrnehmung entwickeln. Das Kind erwirbt diese Fähigkeiten eher durch seine Intelligenz und durch Erfahrung als durch Intuition, sodass das Kind sich schließlich eigene Gedanken über den eigenen mentalen Status und den von anderen Personen macht. Frith und Happé 15 beschreiben diese hoch reflektive und explizite Selbstwahrnehmung als vergleichbar mit der von Philosophen. Ich habe die Autobiografien von Erwachsenen mit Asperger-Syndrom gelesen und muss ebenfalls sagen, dass diese oft eine fast philosophische Qualität aufweisen. Wenn eine andere Art des Denkens und der Wahrnehmung der Welt mit fortgeschrittenen intellektuellen Fähigkeiten ein hergeht, dann erreichen wir auch neue Fortschritte in der Philosophie. Es ist interessant zu sehen, dass der Philosoph Ludwig Wittgenstein viele Merkmale einer intellektuell begabten Person mit Asperger-Syndrom aufwies. 16
Peinlichkeit verstehen
Eine Studie, in der das Peinlichkeitsgefühl bei Kindern mit High-Functioning-Autismus oder Asperger-Syndrom untersucht wurde, kam, wie zu erwarten war, zu dem Ergebnis, dass es eine Verbindung zwischen ToM-Fähigkeiten und der Fähigkeit, Peinlichkeit zu verstehen, gibt. Eine
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