Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
Fü rihn si nd Worte und Gesten der Anteilnahme keine emotionale Hilfe und können im Gegenteil zu einer aggressiven Reaktion führen. Ein jugendliches Mädchen aus der Gruppe sagte: »Weinen funktioniert bei mir nicht, also werde ich stattdessen wütend und werfe mit Stöcken um mich.« Auch für sie wirken Tränen nicht befreiend. Stattdessen können physische und destruktive Handlungen dafür sorgen, dass man sich besser fühlt. Leider werden andere ein solches Verhalten in aller Regel als Zeichen für ein Gefühl der Wut und Aggression interpretieren.
Wenn bei normalen Menschen negative Gefühle oder Gedanken auftreten, etwa wenn sie traurig, ängstlich, verwirrt oder peinlich berührt sind, dann verfügen sie über ein umfassendes Vokabular des emotionalen Ausdrucks, mit dem sie sich sehr genau ausdrücken und von anderen verstanden werden können. Menschen mit Asperger-Syndrom dagegen haben nur ein begrenztes Vokabular in diesem Bereich, dem es an Genauigkeit fehlt und das daher oft zu Missverstä ndnissen bei anderen führt.
Wut als Mittel, andere auf Distanz zu halten
Es gibt noch weitere Gründe, warum die Steuerung von Wut bei jemandem mit Asperger-Syndrom zu einem Problem werden kann. Bei Kindern, aber auch bei einigen Erwachsenen mit Asperger-Syndrom kann Aggression auch das Ziel haben, allein gelassen zu werden. So kann ein Kind im vorschulischen Alter wütend sein, weil es durch andere Kinder unterbrochen wird und weil es mit ihnen spielen muss und es erkennt, dass es mit einer offensiven Sprache und aggressiven Gesten und Handlungen erreichen kann, dass andere Kinder Abstand von ihm halten. Ein solches Verhalten kann dann ein ganzes Leben lang anhalten. Doug, ein Erwachsener mit Asperger-Syndrom, der sich Gedanken über sein Temperament macht, sagte dazu: »Wut ist ein Mittel, mit dem ich andere von mir fernhalten kann« und Grant sagte: »Die Leute lassen mich in Ruhe, wenn sie sehen, dass ich drauf und dran bin zu explodieren.«
Konfrontation und emotionale Erpressung
In einer Konfliktsituation werden normale Kinder wütend und üben aggressive Handlungen aus, um Besitz, Dominanz und Kontrolle zu erreichen. Nach und nach werden dann aggressive Handlungen und Drohungen durch Verhandlungen und Kooperation ersetzt und das Kind erkennt, dass es etwas vor allem dann bekommt, wenn es freundlich ist. Diese Strategien können für ein Kind mit Asperger-Syndrom nicht so offensichtlich sein, das stattdessen lieber auf unreife, dafür aber oft effektive Konfrontationsstrategienund auf emotionale Erpressung setzen. Einige Kinder mit Asperger-Syndrom kontrollieren ihr Umfeld, in dem sie mit Drohungen und gewalttätigen Handlungen arbeiten. So bedrohen sie vielleicht ihre Mutter, wenn diese darauf besteht, dass sie zur Schule gehen sollen; oder sie gebrauchen Gewalt, damit sie ihnen etwas kauft, das mit ihrem Spezialinteresse zu tun hat. Interessanterweise gibt es für derartiges konfrontatives und aggressives Verhalten in der Regel kein Vorbild durch das Verhalten eines anderen Familienmitglieds. Tatsächlich ist es meist eher so, dass die Eltern, die solchen Drohungen und gewalttätigen Handlungen ausgesetzt sind, eher schwach und in Konfliktsitua tionen nicht sehr durchsetzungsstark sind.
Wutausbruch, um Hänseleien zu beenden
Wenn ein Kind mit Asperger-Syndrom etwa geärgert und gemobbt wird, hat es meist wenige Möglichkeiten, dem ein Ende zu setzen. Die erste Möglichkeit wäre, demjenigen zu sagen, dass er damit aufhören soll. Wenn das aber nicht funktioniert und es auch nichts hilft, denjenigen einfach zu ignorieren, und wenn es weiterhin nichts hilft, einem Erwachsenen zu sagen, was passiert ist, dann kann ein explosiver Wutausbruch für dieses Kind die einzige Möglichkeit sein, die unerträgliche Quälerei zu beenden. Auch wenn dem Kind die Konsequenzen seines unakzeptablen Verhaltens klar sind, kann es vielleicht die Qualen einfach nicht länger ertragen und es weiß nicht, was es sonst tun soll.
Wut und Rachegelüste
In Kapitel 1 habe ich auf die vier psychologischen Reaktionsmöglichkeiten hingewiesen, die ein Kind zeigt, wenn es merkt, dass es anders ist als andere Kinder. Eine dieser Reaktionen ist, dass es arrogant wird und hohe Erwartungen an sich und an andere richtet und dass es mit Wut reagiert, wenn es frustriert oder verwirrt wird. Andere werden als dumm wahrgenommen oder als Menschen, die versuchen, das Kind zu verwirren oder zu ärgern. Die Gefühle der Wut wandeln sich dann schnell
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