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Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Titel: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Attwood
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in Gedanken an Vergeltung, Zerstörung, Bestrafung und körperliche Rache.
Wut als Anzeichen für eine bestimmte Depressionsform
    In einem vorangegangenen Abschnitt dieses Kapitels war von einer häufigen Verbreitung von Depressionen bei Menschen mit Asperger-Syndrom die Rede. Bei einer typischen Depression besteht ein Mangel an Energie sowie ein geringes Selbstwertgefühl und derjenige gibt sich oft selbst die Schuld. Die negativen Gefühle werden also internalisiert. Manchmal wird eine Depression aber auch externalisiert, das heißt, anderen wird die Schuld gegeben; das ist manchmal in Phasen der Fall, in denen sich ein hohes Maß an emotionaler Energie aufgestaut hat. Fachkräfte nennen dies »externalisierte agitierte Depression«. Wenn jemand mit Asperger-Syndrom zu mir kommt, der Probleme mit der Steuerung von Wut hat, untersuche ich daher auch, ob die Symptome der Wut nicht in Wahrheit Symptome einer Depression sind; diese sollten dann auch entsprechend behandelt werden.
Neuroanatomischer Erklärungsversuch
    Es kann auch neurologische Gründe dafür geben, dass es ein Problem mit der Steuerung von Gefühlen im Allgemeinen und von Wut im Besonderen gibt. Wir wissen, dass ein Teil des Gehirns, der Amygdala genannt wird, bei Menschen mit Asperger-Syndrom strukturell und funktional abnormal ausgebildet ist. Die Amygdala besitzt viele Funktionen, unter anderem die Wahrnehmung und Steuerung von Gefühlen, insbesondere von Angst und Wut. Man kann die Funktionsweise der Amygdala besser verstehen, wenn man als Metapher an ein Auto denkt, das auf einer Autobahn fährt. Die Frontallappen des Gehirns stellen den Fahrer dar, der darüber entscheidet, was zu tun ist, wohin er fährt etc. Die Amygdala ist dann das Armaturenbrett des Autos, das dem Fahrer Warnhinweise mitteilt in Bezug auf die Motortemperatur, die Menge des verbleibenden Treibstoffs und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs. Bei Menschen mit Asperger-Syndrom funktioniert dieses »Armaturenbrett« nicht vollständig. Der Fahrer verfügt dann nicht über die Informationen, die ihn warnen würden, wenn die emotionale Temperatur zu stark ansteigt oder wenn der Motor (das Niveau der Gefühle und der Stressbelastung) nicht ordnungsgemäß arbeitet und wenn deshalb ein Zusammenbruch bevorsteht.
    Damit lässt sich erklären, warum einem Menschen mit Asperger-Syndrom nicht bewusst ist, wenn die emotionale Belastung ansteigt und warum seine Gedanken und sein Verhalten keine Hinweise auf eine Verschlechterung der Stimmung liefern. Schließlich werden die Gefühle und der Stress überwältigend, aber dann ist es meist zu spät, um die Gefühle durch eine bewusste Gedankenanstrengung zu kontrollieren. Es gab keine Warnzeichen für einen emotionalen Zusammenbruch, den die Person selbst an sich hätte wahrnehmen können oder den eine andere Person am Verhalten hätte ablesen können.
Während eine Fehlfunktion der Amygdala eine plausible Erklärung für die Schwierigkeiten bei der Kommunikation und Steuerung von Gefühlen ist, so ist diese Erklärung doch noch spekulativ und es ist wichtig festzuhalten, dass eine beeinträchtigte Funktionsweise der Amygdala nicht als Ausrede herhalten kann, um Verantwortung und Konsequenzen zu entgehen. Wenn Kinder wütend sind und etwas kaputtmachen oder anderen wehtun, sollen sie sich nicht damit herausreden können, dass in Wahrheit die Amygdala Schuld hat.
Körperlicher statt verbaler Ausdruck von Gefühlen
    Weitere Gründe für Probleme mit der Steuerung der Wut sind Schwierigkeiten, die Gefühle durch Worte auszudrücken (Alexithymie), sodass stattdessen körperliche Handlungen benutzt werden, um die eigene Stimmung auszudrücken und um emotionale Energie freizusetzen. Manchmal wird dann die Wut bewusst gegen eine anderePerson gerichtet, um die eigene Stimmung zu verbessern. Ein Mädchen mit Asperger-Syndrom war an ihrer Schule bekannt für ihre höfliche und zuvorkommende Art, aber auch dafür, dass sich das in das genaue Gegenteil verkehrte, sobald sie nach Hause kam. In der Schule und auf dem Schulhof hat sie ihren Stress unter Kontrolle halten können, sobald sie aber nach Hause kam, griff sie ihre jüngere Schwester verbal und körperlich an. Als ich sie fragte, warum sie zu Hause sogemei nzu ihrer Schwester war, sah sie mich an, als sei die Antwort doch völlig klar: »Weil ich mich dadurch besser fühle.« Der psychologische Begriff für ein solches Verhalten ist negative Verstärkung. Ihrer Schwester wehzutun sorgte dafür, dass

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