Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
Wenn das Kind den Selbstmordversuch übersteht, kann es erstaunlicherweise bereits kurze Zeit später wieder emotional völlig normal reagieren; ein Hinweis darauf, dass hier keine echte Depression vorlag.
Selbstverletzendes Verhalten
Wenn jemand depressiv ist, besteht die Gefahr, dass er sich selbst verletzt.
Die Behandlung einer herkömmlichen klinischen Depression bei einem Menschen mit Asperger-Syndrom sollte eine Kombination aus einer medikamentösen Therapie, KVT und Methoden zur Förderung von sozialem Erfolg, Selbstbewusstsein und einer optimistischeren Denkweise beinhalten. Dies wird in einem späteren Abschnitt dieses Kapitels genauer besprochen.
AUS DEM LEBEN
»Ich will dem Schmerz in meinem Kopf entkommen«
Nita Jackson erklärte in ihrer Autobiografie:
»Bei einer Depression kann es außerdem sein, dass wirklich alles einen zum Weinen bringen kann: Eine Melodie, eine Abfolge von Akkorden, ein Bild, ein Gegenstand, der sich nicht an seinem Platz befindet, Staub auf dem Bilderrahmen; und dann denke ich nur noch daran, wie ich diesem Schmerz in meinem Kopf entkommen kann und das geht meist nur über den Körper. Selbstverletzendes Verhalten kann dabei die verschiedensten Formen annehmen. Nicht immer geht es dabei um Rasiermesser und Messer.
Es ist nicht immer wahr, dass Menschen mit Asperger-Syndrom nur an sich selbst denken und dass ihnen andere egal sind. Einige meiner Freunde mit Asperger-Syndrom erzählen mir, dass sie ihr selbstverletzendes Verhalten für sich behalten, weil sie nicht wollen, dass ihre Familie sich Sorgen macht.« 35
Wut
Wir wissen nicht, wie verbreitet Probleme mit der Wutsteuerung bei Menschen mit Asperger-Syndrom sind. Wir wissen aber, dass, wenn Probleme beim Ausdrücken von Wut aufkommen, sowohl die Person selbst als auch ihre Familie alles daran setzen, die Häufigkeit, die Intensität und die Auswirkungen dieser Wut zu begrenzen. Wut tritt hier oft sehr rasch und in sehr intensiver Form auf, oft als Reaktion auf ein vergleichsweise banales Ereignis. Sieht man Wut als eine Art Lautstärkeregler mit einer Skala von 1 bis 10, so beobachtet man bei einem normalen Kind meist, dass es nach und nach die Intensität der Wut erhöht. Bei einem Menschen mit Asperger-Syndrom dagegen kann es sein, dass der Regler nur zwei Einstellungen kennt: Eine auf einer niedrigen Stufe etwa zwischen eins und zwei und eine auf einer sehr hohen Stufe zwischen neun und zehn. Ereignisse, die bei einem normalen Kind eine Reaktion der Stärke drei bis acht bewirken würden, sorgen beim Asperger-Syndrom daher für eine Reaktion der Stärke neun oder zehn.
Offenbar ist also bei einigen Menschen mit Asperger-Syndrom der Mechanismus zur Regulierung und Kontrolle von Wut fehlerhaft.
Wann und warum zeigt sich die Wut?
Wenn sie sich wütend fühlt, kann die Person mit Asperger-Syndrom oft nicht innehalten und über alternative Strategien zur Klärung der Situation nachdenken, die eigentlich ihren intellektuellen Fähigkeiten und ihrem Alter entsprechen würden. Stattdessen kommt es zu einer spontanen, unüberlegten, körperlichen Reaktion. Wenn die Wut besonders groß ist, kann diese Person völlig blindwütig reagieren und sie nimmt dann keine Signale mehr wahr, die ihr anzeigen, dass es besser wäre, aufzuhören.
Wut statt Traurigkeit
Gefühle der Wut können auch als Reaktion auf solche Situationen auftreten, bei denen wir eher mit anderen Gefühlen rechnen würden. So habe ich bemerkt, dass Traurigkeit oft als Wut ausgedrückt wird. Als ich einmal eine KVT über die Steuerung von Gefühlen für eine Gruppe Jugendlicher mit Asperger-Syndrom durchführte, habe ich die Gruppenmitglieder gefragt, wie sie jeweils das Gefühl der Traurigkeit ausdrücken. Einige haben Antworten gegeben, wie sie typisch für Gleichaltrige sind, nämlich »allein sein«, »spazieren gehen« und »manchmal weinen«. Einige Mitglieder der Gruppe dagegen antworteten »Glas zerschmettern«, »gewalttätige Computer-spiele spielen« und »auf mein Kissen einschlagen«. Beobachtet man diese Verhaltensweisen bei normalen Kindern, würden sie eher auf ein Gefühl der Wut, nicht auf Traurigkeit hindeuten. Diese Verwirrung zwischen Wut und Depression wird auch in einer Bemerkung von Luke deutlich, der sagte: »Wenn ich wütend bin, dann sage ich, dass ich mich umbringen will.«
»Weinen funktioniert bei mir nicht«
Einer der Jugendlichen sagte, dass er, wenn er traurig ist, »wütend auf jeden ist, der mich ver suc ht au fzu muntern.«
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