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Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

Titel: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tony Attwood
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vorschlagen, dass die wütende Person sich mit seinem Spezialinteresse beschäftigt. Das kann sie so sehr geistig in Anspruch nehmen und ihr so großen Spaß machen, dass für wütende Gefühle kein Raum mehr bleibt; in der Zurückgezogenheit kann sie sich dann langsam wieder beruhigen. Eine andere Möglichkeit ist eine anstrengende körperliche Tätigkeit, etwa ein Dauerlauf, bei dem die überschüssige destruktive Energie abgebaut werden kann.

Liebe
    Wir wissen, dass Menschen mit Asperger-Syndrom beeinträchtigte oder verzögerte Theory-of-Mind-Fähig-keiten haben, was erklärt, warum es ihnen schwerfällt, die Gedanken und Gefühle anderer Personen, aber auch die eigenen Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen. Wenn ein solcher Mensch aufgrund einer affektiven Störung eine Behandlung benötigt, geht es meist um Gefühle der Angst, der Traurigkeit und der Wut. Meiner umfassenden klinischen Erfahrung nach gibt es aber noch ein viertes Gefühl, dessen Verständnis und Ausdruck einer solchen Person Probleme bereitet, nämlich Liebe.
    Normale Kinder genießen die Anteilnahme durch ihre Eltern und versuchen diese zu gewinnen; sie können die Signale erkennen, mit denen jemand ausdrückt, dass er ihre Zuneigung erwartet und sie wissen, wann sie selbst Zuneigung demonstrieren sollten, um sich gegenseitig die Liebe zu beweisen oder um jemanden zu trösten. Kinder, die jünger als zwei Jahre alt sind, wissen, dass Worte und Gesten der Zuneigung zu den effektivsten Mitteln, Trost zu spenden, gehören, sowohl für sich selbst als auch für jemand anderen, der traurig ist. Eine Person mit Asperger-Syndrom versteht aber oft nicht, warum manche Menschen ständig ihre gegenseitige Liebe und Zuneigung ausdrücken müssen. Für so eine Person kann eine Umarmung eine unangenehme körperliche Annäherung bedeuten und ein Kind wird sich vielleicht das Weinen verkneifen, wenn dies seiner Erfahrung nach dazu führt, dass es von jemandem gedrückt werden wird.
    AUS DEM LEBEN
    Anne schrie beim Anblick einer Puppe
    Donna Williams erklärte das sehr anschaulich in ihrer Autobiografie so:
    »Anne schrie wie wild, als einer der Ärzte sich neben sie aufs Bett setzte und eine Puppe neben sie legte; das schien sie nur noch mehr zu erschrecken. Oh, Puppen, diese Symbole der Normalität, dachte ich. Oh, diese furchtbare Mahnung, dass man sich von anderen trösten lassen soll und wenn man das nicht kann, dass man sich zumindest von ihren Bildnissen trösten lassen soll.« 37
    Wenn man an Liebe denkt, so wird die Person mit Asperger-Syndrom eher einen kurzen, weniger intensiven Ausdruck der Zuneigung genießen können und sie wirdverwirrt und überfordert sein, wenn sie es mit einem intensiveren Maß an Gefühlsausdruck zu tun hat. Allerdings kann bei einigen Menschen mit Asperger-Syndrom auch das Gegenteil der Fall sein, wenn sie (etwa zum Trost) regelmäßige Beweise der Zuneigung benötigen und selbst ihre Gefühle in einem Maß äußern, das andere überfordert. Es fehlt am differenzierten Vokabular, um seine Zuneigung auszudrücken. Manche dieser Menschen drücken ihre Gefühle dann exzessiv aus. Ein Erwachsener mit Asperger-Syndrom sagte einmal zu mir: »Wir fühlen und zeigen Zuneigung, aber nicht oft genug und mit einer unangemessenen Intensität.«
    AUS DEM LEBEN
    »Ich weiß nicht, was sie mit ›Liebe‹ meint«
    In seiner Autobiografie erklärt Edgar Schneider seine Verwirrung beim Thema Liebe:
    »Einmal hat mir meine Mutter, die mit mir nicht mehr weiter wusste, gesagt: »Weißt du, was das Problem ist? Du weißt nicht, wie man liebt! Du musst lernen, wie man liebt!« Ich war vollkommen bestürzt. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie damit meinte. Ich weiß es bis heute nicht.« 38
Was ist eigentlich Liebe?
    Eine psychoanalytische Untersuchung des Asperger-Syndroms kam zu dem Schluss, dass diese Menschen sich nicht spontan verlieben. 39 Ich habe Partnerschaftsberatungen für Paare durchgeführt, bei denen ein Partner das Asperger-Syndrom hatte. Eine Frage, die ich beiden Partnern stellte, war, wie sie Liebe beschreiben würden. Es folgen die Gedanken von Männern und Frauen, erst von den Menschen ohne, dann von denen mit Asperger-Syndrom.
Menschen ohne Asperger-Syndrom sagen
Liebe ist: Toleranz, keine Urteile fällend, unterstützend.
Liebe ist: Ein Komplex von Überzeugen, der in der Sprache und in den Erfahrungen der Kindheit aufgenommen wird. Liebe wird angeregt, wenn man jemanden trifft, den man bewundert oder der

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