Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom

ihr eigenes Leiden aufhörte und das stellte eine mächtige Verstärkung für das aggressive Verhalten dar.
Vorbeugender Angriff
    Manchmal sind aggressive Handlungen auch vorbeugende Angriffe. Das Kind mit Asperger-Syndrom hat dann zuvor Dinge erlebt, die es zu dem Schluss kommen lassen, dass ein bestimmtes Kind gemein zu ihm sein wird. Ohne dass das andere Kind dieses Kind nun provoziert, kann das Kind mit Asperger-Syndrom einem möglichen Konflikt zuvorkommen, indem es zuerst zuschlägt.
    Leider ist die Folge dieser Gefühle von Wut und folgender Aggression, dass sich das Kind weiter von einer konstruktiven Interaktion mit Gleichaltrigen entfremdet. Da die anderen Kinder das Kind nicht als ihren Freund betrachten, sehen sie keinen Grund, das Kind zu beruhigen, wenn es wütend ist.
Umgang mit Wut
    In einem späteren Abschnitt dieses Kapitels werden KVT-Programme beschrieben, die der Steuerung von Wut dienen, doch soll der Leser bereits an dieser Stelle erfahren, was er tun oder nicht tun soll, wenn die Person mit Asperger-Syndrom extrem wütend und kurz davor ist, die Kontrolle über sich zu verlieren.
Intermittierende explosive Störung
    Wir sind alle manchmal wütend und ich kenne Menschen mit Asperger-Syndrom, die sehr selten wütend werden. Wenn aber die Wutgefühle besonders intensiv werden und zu einem explosiven Ausbruch führen, dann gibt es eine diagnostische Bezeichnung, die sich auf einige Menschen mit Asperger-Syndrom anwenden lässt. Die intermittierende explosive Störung (Intermittent Explosive Disorder, IED) ist in der DSM-IV-Klassifikation enthalten und wird wie folgt definiert:
    »Die Person weist mehrere, voneinander getrennte Episoden auf, in denen es ihr nicht gelingt, Impulsen zu widerstehen, die zu schweren Angriffen oder zur Zerstörung von Eigentum führen, wobei der Grad der Aggression in keinem Verhältnis zu vorhergehenden psychosozialen Stressoren steht und sich auch nicht durch andere geistige Störungen wie eine Persönlichkeitsstörung, eine psychotische Störung, eine Verhaltensstörungoder ADHS oder durch Alkohol oder Drogen erklären lässt.« 36
Wenn also eine Person mit Asperger-Syndrom Probleme mit der Steuerung von Wut hat, die in unregelmäßigen Abständen und in extremer Form auftritt, könnte die IED eine diagnostische Kategorie darstellen, die eine entsprechende Behandlung ermöglicht.
Kontraproduktive Reaktionen, die die Wut nur steigern
    Wenn man mit jemandem mit Asperger-Syndrom zu tun hat, der wütend ist, muss man wissen, dass einige Handlungen dazu führen können, dass sich dieses Gefühl noch verstärkt: dazu gehören das Anheben der Stimme, Konfrontation, Sarkasmus, sich emotional verhalten und denjenigen physisch zurückweisen. Das Anheben der Stimme und die Konfrontation (das Betonen von Drohungen) wird die Situation weiter anheizen und dazu führen, dass die Person mit Asperger-Syndrom noch aufgeregter und im Denken unflexibler wird, sodass seine Fähigkeit behindert wird, sich angemessene Alternativen zu überlegen, mit denen sich seine Wut verringern ließe. Sarkasmus wird die Person nur weiter verwirren; und wenn das Gegenüber emotional reagiert und ebenfalls wütend wird, kanndas kont raprodu ktivwirken und dazu beitragen, Öl ins Feuer zu gießen.
»Eine Umarmung macht mich nur noch wahnsinniger«
    Als ich mit einem Kind mit Asperger-Syndrom Strategien besprach, die ihm helfen sollten, nicht in Wut zu geraten, fragte ich es, ob eine Umarmung durch die Mutter ihm helfen könnte, damit es sich besser fühle. Es antwortete mit Nachdruck: »Nein! Das macht mich nur noch wahnsinniger.« Das zu wissen, war sehr hilfreich. Berührungen, insbesondere jeder Versuch, denjenigen physisch zurückzudrängen, kann dessen Wut und Energie eher noch steigern. Auch wenn man fragt: »Was ist denn mit dir los?« kann das die Situation eskalieren, da die Person, wenn sie gerade eine starke emotionale Krise durchmacht, eine verringerte Fähigkeit hat, den Grund für die Wut anzugeben, was zu weiterer Frustration führen kann.
Hilfreiche Reaktionen, um die Wut in den Griff zu bekommen
    Ich rate, dass, wenn der Mensch mit Asperger-Syndrom wütend ist, derjenige, der versucht, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen, eine ruhige, feste Stimme benutzt, sich nicht groß mit den Ursachen der Aufregung befasst, sondern sich eher darauf konzentriert, den anderen abzulenken oder sich konstruktivere Möglichkeiten überlegt, um die emotionale Energie herauszulassen. So kann man