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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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zu machen.
    Mittlerweile war der Himmel sternübersät, und im silbrigen Licht konnte sie seine scharf geschnittenen Gesichtszüge, seine hohlen Wangen, seine blauen Augen und das lockige Haar ausmachen. In diesem Augenblick, als er so traurig wirkte, fiel ihr auf, wie oft er lachte oder lächelte, selbst wenn die Sonne brannte, der Staub ihn zu ersticken drohte oder rings um ihn Schüsse niedergingen. Er konnte immer lächeln.
    Aber jetzt lächelte er nicht.
    Er reichte ihr einen ziemlich schmalen gelben Umschlag. »Telegramm für dich.«
    »Hast du es gelesen?«
    »Natürlich nicht. Aber es müssen schlechte Nachrichten sein, nicht?«
    Journalisten, Kameraleute und Fotoreporter im Ausland wissen, was Telegramme bedeuten. Sie übermitteln schlechte Nachrichten der Familie, selbst noch im Zeitalter von Internet und Satellitentelefon. Als Nina nach dem Umschlag griff, zitterten ihr die Hände. Sie sah, dass das Telegramm von Sylvie kam, und ihr erster Gedanke war Gott sei Dank . Doch ihre Erleichterung schwand, als sie es las.
    Nina,
    Dein Vater hatte einen Herzinfarkt.
    Meredith sagt, es sieht schlecht aus.
    Sylvie.
    Sie blickte zu Danny hoch. »Mein Dad … ich muss sofort los –«
    »Unmöglich, Liebste«, sagte er sanft. »Der nächste Flug geht morgen früh um sechs. Ich besorge uns Tickets von Johannesburg nach Seattle. Von dort aus fahren wir wohl am besten mit dem Wagen.«
    »Wir?«
    »Aye. Ich möchte für dich da sein, Nina. Ist das so schlimm?«
    Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Es war ihr immer schwergefallen, sich von anderen trösten zu lassen. Auf keinen Fall wollte sie jemandem die Macht geben, sie zu verletzen. Wenn sie eins von ihrer Mutter gelernt hatte, dann Selbstschutz. Also tat sie, was sie in Zeiten wie diesen immer machte: Sie griff nach den Knöpfen seiner Hose. »Geh mit mir ins Bett, Daniel Flynn. Hilf mir durch diese Nacht.«
    Endlos war das Wort, das Meredith zur Beschreibung der Wartezeit in den Sinn kam, aber dadurch musste sie sofort an Ende denken und daraufhin an Tod , wodurch all die Gefühle, die sie zu unterdrücken versuchte, nach oben drängten. Dieses eine Mal funktionierte ihre Überlebenstechnik – sich beschäftigen – nicht, obwohl sie es versucht hatte. Sie hatte sich in Informationen über Versicherungen, Herzinfarkte und Reha-Maßnahmen vergraben und eine Liste der besten Kardiologen des Landes erstellt. Doch kaum hatte sie den Stift niedergelegt oder den Kopf vom Bildschirm gewandt, überwältigte sie erneut die Trauer. Ständig musste sie gegen den Drang zu weinen ankämpfen. Bislang war es ihr gelungen. Sie betrachtete Weinen als Niederlage und weigerte sich aufzugeben.
    Jetzt verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte auf die bunten Fische im Aquarium des Wartezimmers. Manchmal, wenn sie Glück hatte, fesselte einer wirklich ihre Aufmerksamkeit, und für eine Nanosekunde konnte sie vergessen, dass ihr Vater mit dem Tod rang.
    Sie spürte, dass Jeff zu ihr trat. Obwohl sie seine Schritte auf dem Teppich nicht gehört hatte, wusste sie, dass er da war. »Mere«, sagte er leise und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie wusste, was er wollte: Sie sollte sich an ihn lehnen, sich von ihm umarmen lassen. Ein Teil in ihr wollte das auch, sehnte sich nach diesem Trost, aber ein anderer, mächtigerer – der Teil in ihr, der sich Atemzug für Atemzug an die Hoffnung klammerte – wagte nicht, sich fallen zu lassen. Denn in seinen Armen brach sie vielleicht zusammen, und welchen Sinn hätte das?
    »Lass dich umarmen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Sie schüttelte den Kopf. Wieso verstand er das nicht?
    Die Angst um ihren Vater zehrte sie auf. Es war, als hätte man ihr ein Messer tief in die Brust gerammt, durch Muskeln und Knochen hindurch, und ziele nun mit der Spitze auf ihr eigenes Herz. Eine falsche Bewegung und das schutzlose Organ würde durchbohrt.
    Sie hörte ihn seufzen. Er ließ sie los. »Hast du deine Schwester erreicht?«
    »Ich habe überall Nachrichten hinterlassen. Du kennst doch Nina. Wenn sie da ist, ist sie da.« Meredith warf erneut einen Blick auf die Uhr. »Was braucht dieser Arzt denn so lange? Er sollte uns mal aufklären. Wenn er in zehn Minuten immer noch nicht kommt, rufe ich den Chefarzt an.«
    Jeff setzte zu einer Erklärung an (auf die sie kaum achtete, denn ihr Herz klopfte so laut, dass es fast alles andere übertönte), doch bevor er den Satz beenden konnte, ging die Tür zum Wartezimmer auf und Dr.

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