Ein Garten im Winter
Ahnung, was das nun wieder heißen sollte, und momentan war es ihr auch egal. »Ich muss los. Wir sehen uns heute Abend.« Sie tätschelte ihm die Schulter und verließ das Haus. Draußen sperrte sie die Hunde in den Zwinger und fuhr hinunter zum Haus ihrer Eltern.
Zum Haus ihrer Mutter.
Dieser Gedanke versetzte ihr einen Stich ins Herz, aber sie verdrängte ihn.
Im Haus schloss sie die Tür und rief nach ihrer Mutter.
Es kam keine Antwort, doch das war nichts Neues.
Sie fand ihre Mutter in dem selten genutzten Esszimmer. Sie saß am Tisch und murmelte etwas auf Russisch. Vor sich hatte sie den gesamten Schmuck ausgebreitet, den sie über die Jahre von ihrem Mann bekommen hatte. Auch der prunkvoll verzierte Schmuckkasten, der ihr vor langer Zeit von ihren Töchtern zu Weihnachten geschenkt worden war, stand da.
Meredith sah, wie die Trauer in dem schönen Gesicht ihrer Mutter Spuren hinterlassen hatte: Ihre Wangen waren eingefallen und ließen ihre Knochen noch schärfer hervorragen. Ihre Haut hatte alle Farbe eingebüßt und unterschied sich kaum noch von ihrem Haar. Nur ihre Augen – irritierend blau in all dem Weiß – waren noch so wie nur einen Monat zuvor.
»Hey, Mom«, sagte Meredith und trat näher. »Was machst du da?«
»Wir haben diesen Schmuck. Und der Schmetterling ist auch irgendwo.«
»Willst du dich für irgendetwas schick machen?«
Ihre Mutter blickte abrupt zu ihr auf. Erst da, als sie sich direkt ansahen, erkannte Meredith, dass die elektrisierend blauen Augen ihrer Mutter von Verwirrung getrübt waren. »Wir können ihn verkaufen.«
»Wir brauchen deinen Schmuck nicht zu verkaufen, Mom.«
»Bald gibt es kein Geld mehr. Du wirst sehen.«
Meredith beugte sich vor und begutachtete den Modeschmuck. Es war nichts wirklich Wertvolles darunter: Die Geschenke ihres Vaters hatten immer mehr ideellen Wert gehabt. »Mach dir keine Sorgen um die Rechnungen, Mom. Ich bezahle sie für dich.«
»Du?«
Meredith nickte und half ihrer Mutter auf. Überraschend fügsam ließ sie sich die Treppe hinaufführen.
»Ist der Schmetterling sicher?«
Meredith nickte. »Alles ist sicher, Mom«, bestätigte sie und half ihr ins Bett.
»Gott sei Dank«, seufzte sie und schloss die Augen.
Meredith stand eine ganze Weile am Bett und betrachtete ihre schlafende Mutter. Schließlich streckte sie die Hand aus, fühlte ihre Stirn (sie war nicht heiß) und strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht.
Als sie sicher war, dass ihre Mom fest schlief, ging sie nach unten und rief im Büro an.
Daisy meldete sich beim ersten Klingeln. »Das Büro von Meredith Whitson Cooper.«
»Hi, Daisy«, sagte Meredith, immer noch mit einer steilen Falte zwischen den Augenbrauen. »Ich arbeite heute von Belije Notschi aus. Meine Mom verhält sich ein bisschen seltsam.«
»Trauer hat manchmal seltsame Auswirkungen.«
»Ja«, meinte Meredith und dachte daran, dass sie jeden Morgen beim Aufwachen Tränen auf den Wangen hatte. Am Tag zuvor war sie so müde gewesen, dass sie in ihren Kaffee keine Sojamilch, sondern Orangensaft gegeben hatte. Und bemerkt hatte sie es erst nach einer halben Tasse. »Das stimmt wohl.«
Wenn Meredith die Kerze an beiden Enden gleichzeitig abbrannte, dann war Ende Januar nur noch die Flamme übrig. Ihr war bewusst, dass Jeff die Geduld mit ihr verlor, sogar wütend auf sie wurde. Immer wieder hatte er sie gebeten, jemanden einzustellen, der ihr bei der Pflege ihrer Mutter half, oder sich von ihm helfen zu lassen oder – und das war das Schlimmste – sich Zeit für sie beide zu nehmen. Aber wie sollte sie bei all ihren Pflichten auch dazu noch Zeit finden? Sie hatte versucht, eine Haushälterin für ihre Mutter einzustellen, aber das war ein einziger Fehlschlag gewesen. Die arme Frau hatte eine Woche auf Belije Notschi gearbeitet und dann fristlos gekündigt, weil sie meinte, sie ertrüge es nicht, dass ihre Mutter sie die ganze Zeit beobachtete und ihr verbieten wollte, etwas anzufassen.
Da Nina Gott weiß wo war und ihre Mom jeden Tag unterkühlter und merkwürdiger wurde, blieb eben alles an Meredith hängen. Sie hatte ihrem Vater versprochen, sich um die Mutter zu kümmern, und dieses Versprechen würde sie niemals brechen. Sie machte also weiter und tat alles, was getan werden musste. Solange sie weitermachte, hatte sie ihre Trauer im Griff.
Ihre Routine rettete sie.
Jeden Morgen stand sie früh auf, joggte vier Meilen, machte ihrem Mann und ihrer Mutter Frühstück und ging dann zur Arbeit.
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