Ein Garten im Winter
Pflegeheim ging es ihr besser. Sogar Jim hat das gesagt. Kein Barfußlaufen im Schnee, kein Tapetenabreißen, keine Selbstverletzung. Das spart sie sich für mich auf.«
»Vielleicht kann sie dann wirklich wieder nach Hause«, meinte er, doch sie merkte, dass er nicht mehr voll bei der Sache war. Entweder war er mit den Gedanken woanders oder er hatte dieses Gespräch zu oft geführt. Wahrscheinlich Letzteres. Im vergangenen Monat hatte sie ständig über die Sorgen um ihre Mutter geredet, und Jeff hatte immer zugehört. Eigentlich konnte sie sich nicht erinnern, in letzter Zeit über etwas anderes geredet zu haben.
»Ich muss los«, verkündete Jeff. »Ich hab in zwanzig Minuten ein Interview.«
»Oh. Alles klar.«
Sie ließ sich von ihm aus seinem chaotischen, engen Redaktionsbüro bis zum Wagen begleiten. Dort kletterte sie auf den Fahrersitz und startete den Motor.
Erst als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß und sich den Bericht über den Beschnitt der Bäume ansah, fiel ihr auf, dass Jeff sie zum Abschied nicht geküsst hatte.
Auf der Fahrt nach Belije Notschi warf Nina einen Blick auf ihre Mutter, die strickend auf dem Beifahrersitz des Mietwagens saß.
Sie und ihre Mutter befanden sich auf unbekanntem Terrain. Ihr Beisammensein implizierte eine Art Gemeinschaft, doch die hatte es bisher nie gegeben, und Nina bezweifelte, dass bloße Nähe eine Art Beziehung schuf. »Ich hätte hierbleiben sollen«, sagte sie. »Ich hätte mich vergewissern sollen, dass du klarkommst.«
»Das hab ich von dir nicht erwartet«, erwiderte ihre Mutter.
Nina wusste nicht, ob dies eine Herabsetzung war – mit der Betonung auf dir – oder nur eine schlichte Feststellung. Sie wusste auch nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Wieder einmal war sie das Kind, das um seine Mutter herumstrich und wartete – auf einen Blick, ein Nicken, ein Zeichen der Dankbarkeit oder Trauer. Auf irgendetwas außer dem Klicken ihrer Stricknadeln.
Vor dem Haus sah sie zu, wie ihre Mutter das Strickzeug zusammenpackte, die Tasche mit den Ikonen nahm und die Wagentür öffnete. Wie eine Königin schritt sie über den ungemähten Rasen, den Plattenweg hinauf und ins Haus. Dann schloss sie die Haustür hinter sich.
»Danke, dass du mich da rausgeholt hast«, murmelte Nina kopfschüttelnd vor sich hin. Als sie mit dem Gepäck nachkam, war der Altar schon aufgebaut, die Kerze brannte und ihre Mutter war spurlos verschwunden.
Nina ging nach oben und zog den Koffer hinter sich her. Sie verharrte an der offenen Schlafzimmertür ihrer Mutter und lauschte: das Klappern der Stricknadeln und eine leise Stimme, die im Singsang sprach. Entweder hielt ihre Mutter Selbstgespräche oder sie telefonierte.
Was sie auch machte, offenbar war es ihr lieber, als mit ihrer Tochter zu reden. Nina ließ den Koffer auf den Boden fallen, brachte ihren Rucksack und die Fotoausrüstung in ihr eigenes Zimmer und ging danach wieder nach unten. Sie legte sich auf die Lieblingsottomane ihres Vaters, schüttelte die Kissen auf, damit ihr Kopf bequem lag, und schaltete den Fernseher ein.
Sekunden später war sie eingeschlafen. So tief und traumlos hatte sie schon seit Monaten nicht mehr geschlafen, und als sie aufwachte, fühlte sie sich frisch und bereit, es mit der Welt aufzunehmen.
Sie ging nach oben und klopfte an die Schlafzimmertür. »Mom?«
»Herein.«
Nina öffnete die Tür und sah, dass ihre Mutter im Schaukelstuhl am Fenster saß und strickte. »Hey, Mom. Hast du Hunger?«
»Gestern Abend und heute Morgen hatte ich Hunger, aber ich hab mir Sandwiches gemacht. Meredith hat mich gebeten, nicht den Herd zu benutzen.«
»Habe ich wirklich einen ganzen Tag geschlafen? Scheiße. Versprich mir, das Meredith nicht zu erzählen.«
Ihre Mutter sah sie scharf an. »Ich verspreche Kindern nichts.« Dann strickte sie weiter.
Nina verließ das Schlafzimmer und gönnte sich eine lange, heiße Dusche, wie es sie nur in Amerika gibt.
Danach fühlte sie sich wieder wie ein Mensch, obwohl sie alte, zerknitterte Kleider trug.
Unten ging sie durch die Küche und überlegte, was sie zum Mittagessen machen sollte.
In der Kühltruhe fand sie Dutzende Dosen mit eingefrorenen Mahlzeiten, jede mit schwarzem Marker bezeichnet und datiert. Die Mengen, die ihre Mutter kochte, hatten schon immer für ganze Armeen gereicht, und bei den Whitsons wurde nichts weggeworfen. Alles wurde in Tupperdosen gepackt, datiert und für den späteren Verzehr eingefroren. Sollte der
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