Ein Garten im Winter
Dora hier gelegen hatte. Sie hatten sie immer am Wochenende besucht, und Dad hatte jede einzelne Sekunde gehasst. Tod auf Raten , hatte er immer gesagt.
Wie hatte Meredith das nur fertiggebracht? Und wie hatte sie es wagen können, ihr nichts davon zu erzählen?
Als Nina Zimmer 146 erreichte, war sie in Rage und fühlte sich gut dabei. Es war das erste intensive Gefühl seit dem Tod ihres Vaters. Sie klopfte laut.
»Herein«, sagte eine Stimme, und sie öffnete die Tür.
Ihre Mutter saß auf einem hässlichen karierten Sessel und strickte. Ihre weißen Haare waren ungekämmt und ihre Kleider passten nicht zusammen, aber ihre blauen Augen blickten klar. Als Nina eintrat, sah sie auf.
»Warum bist du hier, verdammt noch mal?«, fragte sie.
»Nicht fluchen, Nina«, erwiderte ihre Mutter.
»Du solltest zu Hause sein.«
»Meinst du? Ohne deinen Vater?«
Das kam ganz sanft und wirkte doch beißend wie Essig. Nina bemerkte, dass der Altar auf einer alten Eichenkommode aufgebaut war.
Da ging hinter ihr wieder die Tür auf und ihre Schwester kam mit einer Reisetasche voller Tupperdosen in das kleine Zimmer.
»Nina«, sagte sie und blieb abrupt stehen. Wie üblich sah sie äußerst gepflegt aus. Das kastanienbraune Haar war in einem klassischen Bob geschnitten. Sie trug eine makellos schwarze Hose und eine rosafarbene Bluse. Ihr blasses Gesicht wirkte trotz des perfekten Make-ups müde. Außerdem hatte sie stark abgenommen.
Nina drehte sich zu ihr um. »Wie konntest du nur? War es leichter , sie einfach abzuschieben?«
»Ihr Knöchel –«
»Der Knöchel interessiert mich einen Dreck. Du weißt genau, dass Dad niemals damit einverstanden gewesen wäre«, konterte Nina scharf.
»Was erlaubst du dir eigentlich?«, gab Meredith mit zornesrotem Gesicht zurück. » Ich war schließlich diejenige, die –«
»Hört auf«, zischte die Mutter. »Was ist bloß los mit euch?«
»Sie hat sie nicht mehr alle«, erwiderte Meredith. Ohne Nina weiter zu beachten, ging sie zum Tisch und setzte die große Tasche ab. »Ich hab dir Weißkohlpiroggen und Gurkensuppe mitgebracht, Mom. Tabitha hat mir neues Garn für dich mitgegeben. Es ist ganz unten in der Tasche, mit einem Strickmuster, das dir ihrer Meinung nach gefallen könnte. Nach der Arbeit komme ich noch mal. Wie immer.«
Sie nickte, sagte aber nichts.
Ohne ein weiteres Wort verließ Meredith das Zimmer und zog die Tür fest hinter sich zu.
Nina zögerte kurz und folgte ihr dann. Draußen auf dem Gang sah sie, wie Meredith davoneilte. Ihre Absätze klackerten auf dem Linoleumboden.
»Meredith!«
Ihre Schwester zuckte nur mit den Schultern und lief weiter.
Also ging Nina zurück in das erbärmliche Zimmerchen mit den zwei Betten, dem hässlichen Sessel und der alten Holzkommode. Nur die russischen Ikonen und die Kerze gaben einen Hinweis auf die Frau, die hier wohnte. Die Frau, die laut ihrem Vater innerlich zerbrochen war. Die Frau, die er geliebt hatte.
»Komm, Mom. Du bleibst auf keinen Fall hier. Ich bring dich nach Hause.«
»Du?«
»Ja«, sagte Nina entschlossen. »Ich.«
»Dieses Miststück . Wie konnte sie so mit mir reden? Und das auch noch vor Mom?« Meredith stand in dem kleinen, vollgestellten Büro, in dem ihr Mann für die Zeitung über die Neuigkeiten der Stadt berichtete. Nur gab die Stadt nicht viel Neues her. Ein Blätterstapel an seinem Schreibtisch zeugte davon, dass er fleißig an seinem Roman gearbeitet hatte. Den sie aus Zeitmangel immer noch nicht gelesen hatte.
Meredith lief immer weiter hin und her und biss sich auf den Daumennagel, bis es wehtat.
»Du hättest ihr die Wahrheit sagen sollen. Das hab ich dir doch gesagt.«
»Auf dein ›Ich hab’s dir ja gleich gesagt‹ kann ich jetzt verzichten.«
»Aber ihr habt doch mehrmals telefoniert, oder? Mindestens zwei- oder dreimal, seit du deine Mutter ins Pflegeheim gegeben hast. Natürlich ist Nina jetzt sauer. Das wärst du auch.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Lass Nina einfach ein bisschen Zeit mit ihr verbringen. Morgen Abend wird sie dich schon besser verstehen. Wenn deine Mom erst mal verrückt gespielt hat, wird sie angelaufen kommen und sich entschuldigen.«
Meredith hielt inne. »Meinst du wirklich?«
»Klar. Du hast deine Mutter nicht ins Heim gegeben, weil es zu mühsam war, sich um sie zu kümmern. Obwohl es das in der Tat war. Du wolltest sie schützen. Schon vergessen?«
»Das stimmt«, erwiderte sie und wünschte, sie wäre sich sicherer. »Aber im
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