Ein Garten im Winter
versuchen, sich mit Schädlingsberichten, Ernteprognosen und Verkaufszahlen abzulenken. Aber sie würde allein in der Stille sitzen und ihren eigenen Gedanken ausgeliefert sein.
»Auf keinen Fall.«
Sie ging zum Wagen, startete ihn und fuhr direkt nach Belije Notschi.
Dort brannte im Wohnzimmer Licht. Aus dem Schornstein stieg Rauch. Natürlich war Nina schon wach. Ihr Biorhythmus war noch auf Afrika-Zeit eingestellt.
Meredith spürte, wie Selbstmitleid sie überkam. Wie gerne hätte sie jetzt alles mit ihrer Schwester besprochen, ihr ihren Schmerz gezeigt, um getröstet und wieder aufgerichtet zu werden.
Aber Nina war nicht die Richtige dafür. Allerdings würde Meredith das auch nicht ihren Freunden erzählen, schließlich war es schon, ohne dass man zum Stadtgespräch wurde, schmerzlich und demütigend genug. Außerdem war sie einfach nicht der Mensch, der über eigene Probleme sprach. Und war das nicht einer der Gründe, warum sie jetzt allein war?
Sie stieß die Wagentür auf und stieg aus.
Im Haus bemerkte sie, dass es immer noch nach Rauch roch. Dann sah sie das schmutzige Geschirr in der Spüle und die offene Wodka-Karaffe auf der Anrichte.
Wut stieg in ihr auf. Heftig, plötzlich, unverhältnismäßig. Aber es fühlte sich gut an. Daran konnte sie sich festhalten, aufrichten. Sie ließ Spülwasser ein und hantierte so heftig mit dem Geschirr, dass die Töpfe klapperten.
»He«, rief Nina, als sie in die Küche kam. Sie trug Männer-Boxershorts und ein Nirwana-T-Shirt. Ihre schwarzen Haare standen zu Berge, und sie grinste breit. Sie sah aus wie Demi Moore in Ghost: fast unerträglich hübsch. »Neuen Sport entdeckt? Töpfe schmeißen?«
»Meinst du, ich hätte nichts Besseres zu tun, als dein Chaos zu beseitigen?«
»Findest du es nicht ein bisschen früh für so ein Drama?«
»Nur zu. Mach einen Witz draus. Mehr ist es wohl nicht für dich.«
»Meredith, was ist denn? Geht’s dir nicht gut?«
Da wäre Meredith fast zusammengebrochen. Ninas sanfte Stimme, ihre unerwartete Frage … fast hätte sie gesagt: Jeff hat mich verlassen.
Aber was dann?
Sie holte tief Luft, faltete das Küchentuch ordentlich zusammen und hängte es über den Griff am Herd. »Mir geht es bestens.«
»Aber du wirkst nicht so.«
»Ehrlich gesagt, kennst du mich nicht gut genug, Nina, um das zu beurteilen. Wie war Mom gestern Abend? Hat sie was gegessen?«
»Wir haben zusammen Wodka getrunken. Und Wein. Ist das zu fassen?«
Meredith verspürte einen Stich; erst nach ein paar Sekunden erkannte sie, dass sie eifersüchtig war. »Wodka?«
»Ich weiß. Ich war auch ziemlich von den Socken. Außerdem habe ich erfahren, dass ihr Lieblingsfilm Doktor Schiwago ist.«
»Ich finde nicht, dass sie jetzt auch noch Alkohol trinken sollte. Schließlich weiß sie die Hälfte der Zeit nicht mal, wo sie ist.«
»Aber weiß sie denn, wer sie ist? Diese Frage interessiert mich viel mehr. Wenn ich sie nur dazu bringen könnte, uns die Märchen –«
»Hör endlich mit den Märchen auf«, sagte Meredith heftiger als beabsichtigt. Als sie Ninas verblüffte Miene bemerkte, wurde ihr klar, dass sie vielleicht sogar geschrien hatte. »Ich werde jetzt ihre Sachen für den Umzug zusammenpacken. Ich denke, sie wird sich wohler dort fühlen, wenn sie ihre eigenen Sachen um sich hat.«
»Sie wird sich nicht wohl fühlen«, entgegnete Nina und wirkte jetzt auch wütend. »Ganz gleich, wie sauber, ordentlich und gut organisiert alles ist. Du schiebst sie immer noch ab.«
»Wirst du denn hierbleiben, Nina? Für immer? Dann streiche ich die Reservierung.«
»Du weißt genau, dass ich das nicht kann.«
»Ganz genau. Kritisieren kannst du, aber Probleme lösen eben nicht.«
»Ich bin doch jetzt hier.«
Meredith warf einen Blick auf das Spülwasser und das mittlerweile saubere Geschirr. »Aber eine große Hilfe bist du mir nicht. Wenn du mich jetzt entschuldigen willst, dann hole ich die Umzugskartons aus der Garage. Ich fange in der Küche an. Du darfst mir gern helfen.«
»Ich werde nicht ihr Leben in Kisten verpacken, Mere. Ich möchte, dass sie sich öffnet. Nicht, dass sie weggesperrt wird. Kapierst du das nicht? Kümmert dich das nicht?«
»Nein«, sagte Meredith und schob sich an ihr vorbei. Sie verließ das Haus und ging zur Garage. Während sie darauf wartete, dass das automatische Tor nach oben ging, bekam sie kaum Luft. Irgendwas stieg in ihr auf, bis ihre Brust schmerzte und ihr Arm kribbelte. Ich habe einen Herzinfarkt, dachte
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