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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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sie.
    Sie krümmte sich zusammen und atmete mühsam. Ein und aus, ein und aus, bis es ihr wieder besserging. Sie trat in die dunkle Garage, froh, dass sie sich vor Nina hatte beherrschen können, doch als sie das Licht einschaltete, sah sie den Cadillac ihres Vaters. Das Kabrio von 1956, sein ganzer Stolz.
    Ich hab ihn Frankie genannt, nach Frank Sinatra. Auf Frankies Vordersitz hab ich mir meinen ersten Kuss ergattert …
    In dem alten Frankie hatten sie Dutzende Ausflüge gemacht. Sie waren nordwärts nach British Columbia gefahren, ostwärts nach Idaho und südwärts nach Oregon, immer auf der Suche nach Abenteuern. Auf den langen, staubigen Fahrten hatten Dad und Nina John-Denver-Songs gesungen, während Meredith sich fühlte wie unsichtbar. Ihr gefiel es nicht, Straßen zu erkunden, falsch abzubiegen oder den Tank leer zu fahren. Aber jeder Ausflug schien so zu enden. Und ihr Dad und Nina lachten darüber wie Piraten auf Kaperfahrt.
    Wer braucht schon Straßenkarten? , hatte der Vater immer gefragt.
    Wir nicht , hatte Nina geantwortet und war lachend auf ihrem Sitz herumgehüpft.
    Meredith hätte mitspielen, gute Miene zum bösen Spiel machen können. Stattdessen hatte sie auf dem Rücksitz gesessen, sich in ihre Bücher vergraben und so getan, als wäre nichts, wenn eine Radkappe abflog oder der Motor überhitzt war. Aber immer wenn sie rasteten und ihr Nachtlager aufgeschlagen war, kam ihr Dad zu ihr. Mit der Pfeife im Mund sagte er: Ich dachte, meine Große würde vielleicht gern spazieren gehen …
    Zehn Minuten Spaziergang wogen mehr als tausend Meilen Schotterstraße.
    Jetzt berührte Meredith die glänzend rote Motorhaube und strich über den glatten Lack. Seit Jahren hatte niemand mehr den Wagen gefahren. »Deine Große würde jetzt gern einen Spaziergang machen«, flüsterte sie.
    Er war der eine, dem sie alles erzählt hätte …
    Seufzend wandte sie sich zu seiner Werkbank und schaute sich um, bis sie drei große Pappkartons entdeckte. Sie trug sie in die Küche, stellte sie auf den Boden und öffnete den erstbesten Schrank. Sie wusste, es war zu früh, um mit Packen anzufangen, aber alles war besser, als allein in ihrem leeren Haus zu sitzen.
    »Ich habe gehört, dass ihr euch gestritten habt.«
    Langsam schloss Meredith den Schrank und drehte sich um.
    Ihre Mutter stand im Türrahmen. Sie trug ihr weißes Nachthemd und hatte eine schwarze Wolldecke wie ein Cape um ihre Schultern geschlungen. Die dünne Baumwolle wirkte durchscheinend im Licht vom Flur, so dass ihre dünnen Beine zu sehen waren.
    »Tut mir leid«, sagte Meredith.
    »Ihr beide steht euch nicht nahe.«
    Das war keine Frage, sondern eher eine Feststellung, aber Meredith hörte einen scharfen Unterton in der Stimme ihrer Mutter, ein Urteil vielleicht. Dieses eine Mal hatte sie den Blick nicht abgewandt, sie blickte auch nicht an ihr vorbei, sondern schaute sie direkt an, als sähe sie sie zum ersten Mal.
    »Nein, Mom. Wir stehen uns nicht nahe. Wir sehen uns auch kaum.«
    »Das werdet ihr bereuen.«
    Vielen Dank, Yoda. »Ist schon gut, Mom. Soll ich dir Tee machen?«
    » Wenn ich nicht mehr da bin, habt ihr nur noch euch.«
    Meredith ging zum Samowar. An den Tod ihrer Mutter wollte sie heute auf keinen Fall denken. »Er ist gleich heiß«, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen.
    Nach einer Weile hörte sie ihre Mutter gehen und war wieder allein.
    Nina hatte sich für die Zermürbungstechnik entschieden. Wenn Merediths Märtyrershow in der Küche eines bewies, dann, dass jede Minute zählte. Mit jedem Rascheln von Zeitungspapier und jedem Klappern der Töpfe hörte Nina, dass ein weiterer Gebrauchsgegenstand aus dem Leben ihrer Mutter eingepackt und weggeräumt wurde. Wenn Meredith sich durchsetzte, würde bald nichts mehr übrig sein.
    Aber ihr Dad hätte etwas anderes gewollt, und Nina wollte es jetzt auch. Sie wollte das Märchen vom Bauernmädchen und dem Prinzen bis zum Ende hören; offen gestanden, konnte sie sich nicht erinnern, sich je etwas dringender gewünscht zu haben.
    Zur Frühstückszeit war sie in die Küche gegangen und vorsichtig um ihre abweisende Schwester herumgetänzelt. Sie hatte sie ebenfalls ignoriert und für ihre Mom eine Tasse süßen Tee und eine Scheibe Toast gemacht, die sie nach oben brachte. Als sie das Schlafzimmer betrat, saß die Mutter noch im Bett. Sie hatte die Hände streng über der Bettdecke gefaltet, und nur das wirre Haar zeugte von einer unruhigen Nacht. Da sie die Tür offen gelassen hatte,

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