Ein Garten im Winter
geredet. Ich kann mich daran erinnern. Wir haben sogar gelacht.«
»Nur ihr drei.«
»Warum siehst du uns beide eigentlich nie wirklich an?«
»Das bildest du dir nur ein«, entgegnete die Mutter und trank einen Schluck Wein. »Iss.«
»Okay, ich esse. Aber wir werden uns unterhalten, und damit basta. Da du nicht besonders darin geübt bist, fange ich an. Mein Lieblingsfilm ist Jenseits von Afrika . Ich sehe unheimlich gerne, wie Giraffen vor der untergehenden Sonne durch die Serengeti streifen, aber zu meiner eigenen Überraschung muss ich gestehen, dass mir der Schnee manchmal fehlt.«
Die Mutter trank noch einen Schluck Wein.
»Ich könnte dich auch nach den Märchen fragen«, sagte Nina. »Ich könnte fragen, warum du alle Geschichten auswendig kennst, oder warum du sie uns nur im Dunkeln erzählt hast oder warum Dad –«
»Mein Lieblingsautor ist Puschkin. Obwohl Anna Achmatowa mir aus der Seele spricht. Ich vermisse … die echten Weißen Nächte, und mein Lieblingsfilm ist Doktor Schiwago. « Ihr Akzent ließ die russischen Wörter weich und melodisch klingen.
»Dann haben wir also doch etwas gemeinsam«, bemerkte Nina, sah ihre Mutter an und griff nach dem Wein.
»Und das wäre?«
»Große Liebesgeschichten ohne Happy End.«
Da schob ihre Mutter ihren Stuhl zurück und stand abrupt auf. »Danke fürs Abendessen. Ich bin jetzt müde. Gute Nacht.«
»Ich werde weiter fragen, nur dass du’s weißt«, verkündete Nina, als sie an ihr vorbeiging. »Nach den Märchen.«
Die Mutter hielt kurz inne, machte einen langsamen Schritt und ging dann zügiger aus der Küche und die Treppe hinauf. Als die Tür zu ihrem Schlafzimmer zufiel, blickte Nina zur Decke. »Du hast Angst, nicht wahr?«, fragte sie laut. »Aber wovor?«
Warm eingepackt in ihren alten Frotteebademantel saß Meredith im Schaukelstuhl auf der Veranda. Dicht aneinandergedrängt zu ihren Füßen lagen die Hunde und schienen zu schlafen, doch hin und wieder winselten sie und blickten zu ihr auf. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte. Jeff war nicht da.
Sie fasste es einfach nicht, dass er ihr das ausgerechnet jetzt angetan hatte, so kurz nach dem Tod ihres Vaters, während ihre Mutter einen Zusammenbruch hatte. Sie wollte sich an ihre Wut darüber klammern, aber sie war zu flüchtig und drohte zu verrauchen. Immer wieder stellte sie sich eine Szene vor.
Sie, Jeff und die Mädchen würden am Esszimmertisch sitzen.
Jillian würde lesen und Maddy ungeduldig mit dem Fuß klopfen und fragen, wann sie aufstehen dürften. Aber alle Teenagerallüren würden wie weggeblasen sein, wenn Jeff verkünden würde, Wir trennen uns.
Vielleicht würde er es nicht genau so sagen, vielleicht würde er sich sogar vor der Verantwortung drücken und Meredith den Schwarzen Peter zuschieben. Das war ihre übliche Rollenverteilung: Jeff war für den Spaß zuständig, Meredith für den Ernst.
Maddy würde lautstark in Tränen ausbrechen.
Jillian würde herzzerreißend leise weinen.
Meredith holte stockend Luft. Sie wusste, warum unglücklich verheiratete Frauen sich nicht trennten. Weil sie genau solche Szenen fürchteten und um jeden Preis vermeiden wollten.
In der Ferne sah sie den ersten kupferfarbenen Schein des neuen Tages. Sie hatte die ganze Nacht hier gesessen. Jetzt zog sie ihren Bademantel enger um sich, ging ins Haus, lief durch die Zimmer und räumte müßig Gegenstände hin und her. Die Kristalltrophäe, die Jeff im Vorjahr wegen seiner Reportagen bekommen hatte … die Lesebrille, die er seit neuestem brauchte … das Foto von ihrem letzten Urlaub am Lake Chelan. Wenn sie es früher betrachtet hatte, war ihr nur aufgefallen, dass sie älter wurde. Jetzt sah sie, wie er sie in den Armen hielt und strahlend lächelte.
Sie stellte das Foto wieder ab und ging hinauf. Obwohl das Bett sie lockte, umrundete sie es großräumig, da daran noch Jeffs Geruch haftete. Stattdessen zog sie ihre Joggingsachen an und lief, bis ihr die Lungen zu platzen drohten und ihr das Atmen weh tat.
Wieder zurück, ging sie geradewegs unter die Dusche und blieb dort so lange, bis nur noch kaltes Wasser kam.
Als sie angezogen war, wurde ihr klar, dass auf der Arbeit alle ihrem Blick ausweichen würden, weil sie wussten, dass ihr Mann sie mitten in der Nacht verlassen hatte.
Sie stand mit den Schlüsseln in der Hand in der Küche, als ihr aufging, dass es Samstag war.
Das Lagerhaus würde dunkel und kalt sein. Geschlossen. Natürlich konnte sie trotzdem arbeiten und
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