Ein Garten im Winter
versicherte sie sich. »Viele Paare nehmen sich mal eine Auszeit. Alles wird wieder gut.« Sie musste sich überlegen, wie sie das wieder in Ordnung bringen sollte, was getan werden musste. Dann ging sie zum Schrank, holte den Staubsauger heraus, zog ihn ins Wohnzimmer und schaltete ihn ein. Das Dröhnen übertönte die Stimmen in ihrem Kopf und ihren stockenden Herzschlag.
Zehn
Als Nina geduscht und ausgepackt hatte, ging sie nach unten. In der Küche saß ihre Mutter mit einer Kristallkaraffe am Tisch. »Ich dachte, wir könnten zusammen ein Glas Wodka trinken«, meinte sie.
Nina starrte sie an. Ihr war, als hätte sie plötzlich einen Blick auf etwas gänzlich Unerwartetes erhascht. Noch nie hatte ihre Mutter sie aufgefordert, etwas mit ihr zu trinken. Sie zögerte.
»Wenn du keine Lust –«
»Nein, das heißt doch«, erwiderte Nina und sah zu, wie ihre Mutter zwei Schnapsgläser mit Wodka füllte.
Sie versuchte, in dem schönen Gesicht ihrer Mutter etwas zu sehen, irgendetwas: ein Stirnrunzeln, ein Lächeln. Aber es gab nicht das Geringste preis.
»Die Küche riecht nach Rauch«, bemerkte sie.
»Ich hab das erste Abendessen angebrannt. Schade, dass du mir nicht Kochen beigebracht hast«, antwortete Nina.
»Du musstest es doch nur aufwärmen, nicht mal kochen.«
»Hat dir deine Mutter das Kochen beigebracht?«
»Das Wasser kocht. Gib die Nudeln hinein.«
Nina ging zum Herd und schüttete die selbstgemachten Nudeln ins Wasser. Daneben blubberte ein Topf mit der Stroganoff-Sauce. »Hey, ich koche«, sagte Nina und griff nach einem Holzlöffel. »Danny würde sich totlachen. Aufgepasst, Süße, die Leute wollen das noch essen, würde er sagen.« Sie erwartete, dass ihre Mom sie fragen würde, wer Danny war, doch hörte sie nur Schweigen und dann ein langsames Klopfen.
Als sie sich umblickte, sah sie, dass ihre Mutter mit einer Gabel auf den Tisch schlug.
Sie kehrte zum Tisch zurück und nahm gegenüber ihrer Mutter Platz. »Cheers«, sagte Nina und hob ihr Glas.
Sie hob auch ihres, stieß es gegen Ninas und leerte es dann in einem Zug.
Nina tat es ihr nach. Minutenlang herrschte Stille. »Was machen wir jetzt?«, fragte sie schließlich.
»Nudeln«, antwortete ihre Mutter.
Nina stürzte zum Herd. »Sie schwimmen oben«, erklärte sie.
»Dann sind sie fertig.«
»Noch was gelernt. Toll«, sagte Nina und goss das Nudelwasser in ein Sieb in der Spüle. Dann verteilte sie die Nudeln auf zwei Teller, nahm den Salat und eine Flasche Wein und kehrte zum Tisch zurück.
»Danke.« Die Mutter schloss kurz die Augen zum Gebet und griff dann nach ihrer Gabel.
»Hast du das schon immer gemacht?«, wollte Nina wissen. »Vor dem Essen gebetet?«
»Hör auf, mich zu beobachten, Nina.«
»Weil so etwas doch normalerweise von den Eltern weitergegeben wird. Aber ich erinnere mich nur, dass wir an hohen Feiertagen vor dem Essen gebetet haben.«
Die Mutter fing an zu essen.
Nina hätte ihre Mutter gerne weiter mit Fragen gelöchert, aber der aromatische Geruch der Stroganoff-Sauce – Rindfleischstücke, erst angebraten und dann stundenlang in einer Sauce mit Sherry, frischem Thymian, Sahne und Pilzen geköchelt – stieg ihr in die Nase und ließ ihren Magen vor Vorfreude knurren. Sie stürzte sich auf das Essen, das praktisch für ihre Kindheit stand. »Gott sei Dank ist der Kühlschrank voll bis oben hin«, meinte sie und schenkte ihnen beiden Wein ein. Als auch darauf nur Schweigen folgte, sagte sie: »Danke, Nina, nett von dir, dass du das sagst.«
Sie versuchte, sich aufs Essen zu konzentrieren, aber das Schweigen setzte ihr zu. Geduld war nie ihre Stärke gewesen. Es war seltsam: Sie konnte stundenlang still dasitzen und auf das perfekte Bild warten, aber ohne Kamera in der Hand brauchte sie etwas zu tun. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. »Das reicht«, sagte sie so scharf, dass ihre Mutter aufblickte. »Ich bin nicht Meredith.«
»Das ist mir bewusst.«
»Als wir klein waren, warst du zu übermächtig, und Mere ist hiergeblieben und hat sich nicht sonderlich verändert. Aber ich bin gegangen. Und weißt du was? Du machst mir keine Angst mehr und tust mir auch nicht mehr so weh. Ich bin hier, weil ich mich um dich kümmern will. Sollte Mere sich durchsetzen, bleibe ich, bis du in die Seniorenwelt wechselst, aber ich will verdammt sein, wenn ich bis dahin jede Mahlzeit unter einer Glocke des Schweigens einnehmen muss.«
»Einer was?«
»Als ich noch klein war, haben wir beim Essen doch
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