Ein Garten im Winter
rempelt sie an und kichert. Aber dann verstummt sie.
Die ganze Wohnung besteht aus einem einzigen Zimmer, in dem nur ein kleiner Holzofen und eine Spüle, ein Holztisch mit vier unterschiedlichen Stühlen und ein schmales Bett an der Wand Platz haben. Ein nacktes Fenster geht hinaus auf die Backsteinwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In einer Ecke sieht man hinter einem Türspalt einen leeren Schrank. Ein Bad ist nicht zu sehen; es muss ein Gemeinschaftsbad für das ganze Haus geben.
Wie sollen sie alle hier wohnen, zusammengedrängt wie die Ölsardinen?
»Kommt«, sagt ihre Großmutter und zerdrückt ihren Zigarettenstummel in einer von Kippen überquellenden Untertasse. »Ich zeig euch, wo ihr eure Sachen verstauen könnt.«
Stunden später baut Vera in ihrem neuen Heim, das nach Kohl und zu vielen Menschen stinkt, ein Bett aus Decken auf dem Fußboden und kuschelt sich eng an ihre Schwester.
»Morgen bringt uns ein Mann von der Arbeit unsere Möbel«, sagt Mama müde. Olga fängt an zu weinen. Sie alle wissen, dass die Möbel nicht viel verändern werden.
Vera nimmt die Hand ihrer Schwester. Draußen hört man einen Wagen gegen etwas krachen und einen Mann fluchen. Vera kommt es vor, als seien sie in einem Alptraum gefangen.
Von da an ist Vera ständig zornig. Sie kann es nicht unterdrücken, sosehr sie es auch versucht. Ständig fährt sie auf und ist schnell mit Kritik bei der Hand. Sie, ihre Mutter und Olga schlafen zusammen in ihrem schmalen Bett und sind so eng aneinandergequetscht, dass sie sich nur gleichzeitig oder gar nicht umdrehen können.
Vera arbeitet vom Morgengrauen bis spät in den Abend, und wenn sie in die Wohnung zurückkommt, geht es gleich weiter. Sie kocht das Essen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, dann bringt sie für die Nacht Holz zum Ofen und spült das Geschirr. Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit. Die einzige Unterbrechung in der Woche ist der Freitag.
»Du solltest nicht mehr dorthin gehen«, sagt ihre Mutter, als sie die Wohnung verlassen. Es ist fünf Uhr morgens und immer noch stockdunkel.
Als sie an einem Café vorbeikommen, taumeln ein paar Edelmänner heraus, die sich lachend umarmen. Bei ihrem Anblick spürt Vera einen Stich in der Brust. Sie sind so jung und frei, dabei sind sie älter als sie, die mit ihrer Mutter und ihrer Schwester schon vor Tagesanbruch zur Arbeit trotten muss, anstatt Kaffee zu trinken, über Politik zu diskutieren und bedeutende Worte zu schreiben.
Ihre Mutter streckt den Arm aus und greift nach Veras Hand. »Es tut mir leid«, sagt sie leise.
Sie rühren nur selten an ihren Verlust oder an das, was ihr Leben jetzt ausmacht. Vera drückt die Hand ihrer Mutter. Am liebsten würde sie etwas sagen, doch da sie befürchtet, dann weinen zu müssen, nickt sie nur.
»Gut, bis dann«, sagt ihre Mutter schließlich und wendet sich zu ihrer Bahnhaltestelle.
»Bis heute Abend.«
Die drei trennen sich, um zur Arbeit zu gehen.
Vera läuft die letzte Strecke allein zur Großen Halle der Gerechtigkeit. Sie schließt sich der langen Schlange an und wartet darauf, an die Reihe zu kommen.
»Name«, sagt der Kobold, als sie an den Tisch tritt.
Als sie ihn nennt, nimmt er ihre Papiere und liest sie. Dann steht er abrupt auf und verschwindet. Sie sieht, wie er weiter hinten im Saal in ein gläsernes Zimmer tritt und mit anderen Kobolden und einem Mann in langem schwarzem Mantel spricht.
Schließlich kehrt er zurück, nimmt wieder Platz und schiebt die Papiere zu ihr. »In unserem Reich gibt es niemanden mit diesem Namen. Sie irren sich. Nächster.«
»Aber Sie müssen ihn kennen, mein Herr. Ich komme schon seit über einem Jahr hierher. Bitte überprüfen Sie es noch mal.«
»Ein Mann dieses Namens ist hier unbekannt.«
»Aber –«
»Er ist nicht da«, wiederholt der Kobold mit schneidender Stimme. »Er ist weg. Verstanden? Jetzt gehen Sie weiter.« Er reckt seinen Hals, um hinter sie zu blicken. »Der Nächste.«
Vera spürt, wie ihr die Knie weich werden und die Tränen kommen, aber es ist gefährlich, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, daher wischt sie sich die Tränen ab, strafft die Schultern und macht sich auf den Weg zur Arbeit.
Ihr Vater ist verschwunden.
Gerade war er noch da und plötzlich nicht mehr. Die Wahrheit ist, dass er tot ist. Sie haben ihn umgebracht, wer sie auch sein mögen. Die Trolle in ihren glänzend schwarzen Kutschen und der Schwarze Ritter, für den sie arbeiten. Aber Fragen sind nicht erlaubt, nicht
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