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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Jurisprudenz und wurden Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Notare. Mit Glück und guten Verbindungen sogar Senatssyndici oder Senatoren. Aber Polizisten?
    «Schon gut, Henningsen», sagte er, «schon gut. So früh am Tag bin ich unwirsch. Ist nicht so gemeint. Nun erzählen Sie. Sie waren als einer der Ersten hier?»
    Henningsen nickte eifrig. «Der Straßenkehrer hat seine Entdeckung gleich hier bei der Dovenfleet-Wache gemeldet, dort wissen sie, dass ich nur vier Häuser weiter wohne. Ich war schnell hier und habe alles andere veranlasst.»
    Er habe auch Namen, Abteilung und Anschrift des Kehrers notiert, man könne ihn zu weiterer Befragung leicht finden.
    «Sehr gut. Dann wollen wir unseren neuen Kunden noch mal ansehen, bevor er in die Anatomie verschwindet.»
    So hätte Jowinsky sich ausgedrückt, er selbst bis vor wenigen Wochen nie. Aber es schadete nicht, wenn er ein bisschen von Jowinsky annahm. Henningsen würde es gar nicht bemerken, er hatte nie mit dem Alten gearbeitet. Aber er würde Henningsen nie duzen. Jowinsky, der um fünfunddreißig Jahre ältere erfahrene Beamte hatte ihn, den Anfänger, immer beim Nachnamen, aber mit Du angeredet. Ekhoff hatte das gefallen, es hatte nie herablassend geklungen, sondern bei aller klug gewahrten Distanz ein bisschen väterlich. Mit Henningsen und ihm war es anders, der Assistent war nur drei Jahre jünger als er, und gesellschaftlich – wenn sie sich je auf privatem Feld treffen sollten, was sich gewiss nie ergeben würde – stand sein Polizei-Assistent über ihm.
    «Sie haben nichts gefunden, was auf seine Identität hinweist, richtig?»
    «Nichts Konkretes. Dass er tot war, habe ich gleich erkannt, er war schon», Henningsen schluckte, obwohl er schon fünf Jahre im Polizeidienst war, hatte er sich an blutige Leichen nicht gewöhnt, «na ja, er fühlte sich kalt an und schien nicht mehr zu atmen. Dann das viele Blut, der Schnitt am Hals – das konnte ich mit der Laterne erkennen. Dann habe ich ganz vorsichtig in seinen Rocktaschen gefühlt, ob er irgendein Dokument bei sich trägt. Sicher hat das Jackett eine innere Brusttasche, dort habe ich nicht nachgesehen, ich wollte die Leiche unverändert liegen lassen, bis alles genau dokumentiert ist.»
    Plötzlich erhob sich von allen Seiten Stimmengewirr, Holzschuhe trappelten, Karrenräder knirschten über das Pflaster, ein alles durchdringendes wütendes Klingeln der Straßenbahn, vier Wagen rollten über den Platz. Ekhoff hatte Anweisung gegeben, die Absperrung bis auf einen schützenden Abstand um Leiche und Fundort aufzuheben. Es würde geraume Zeit dauern, bis auch die in den verstopften Zugangsstraßen wartenden Fuhrwerke und Kutschen ihren Weg gefunden hatten. Und es würde Beschwerden geben. Das kümmerte ihn nicht, umso weniger, als der Tote kein verkommener Säufer oder eine syphilitische Hure war. Der Mann, darin teilte er die Ansicht des Doktors, war keiner, der Hunger und Elend kannte. Zumindest nicht während der letzten Phase seines Lebens. Der sah nach einem Bürger aus, also würden die, die auf ihren gepolsterten Stühlen darüber zu befinden hatten, die radikale Sperrung des Platzes und Behinderung des Geschäftsverkehrs zur Sicherung von Indizien, Fundort und Leichnam angemessen finden.
    Was ihn hingegen sehr wohl kümmerte, war die wie eine in Bewegung geratene Mauer vorrückende Menge. Je älter er wurde, umso besser und leichter verstand er sich auf den Umgang mit Menschen. Wenn sie aber in Massen auftraten und ein gemeinsames Anliegen oder Ziel hatten, fühlte er sich wie eine Ratte im Käfig. Selbst wenn ihn niemand beachtete, hatte er das Gefühl, bedrängt zu werden, und spürte den wachsenden Wunsch, zuzuschlagen. Und tief in seiner Seele fürchtete er sich. Er dachte dann an die Französische Revolution, wie damals die Massen von Menschen Blut verlangt hatten, nach immer mehr Blut schrien, wie sie der Guillotine zugejubelt hatten, geifernd im Vergnügen am Entsetzen und der Qual der Opfer. Wie sie lustvoll lynchten, Herzen und Lebern aus noch zuckenden Körpern rissen …
    «Halten Sie verdammt noch mal die Leute auf mehr Abstand!», brüllte er der Reihe von Schutzmännern zu, und als das wenig brachte, ließ er den Leichenwagen herankommen, um ihn als Barrikade einzusetzen. So hatten sie von zwei Seiten Schutz, vom Brunnenbecken und von Pferd und Wagen, den Rest schafften die Schutzleute.
    Als er noch einmal aufsah, erkannte er in der fahlen Dämmerung nur noch graue Gesichter

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