Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
standen nur drei teuer lackierte geschlossene Kutschen und ein leichter offener Zweisitzer. Dennoch waren viele Bänke des Gotteshauses besetzt gewesen, einige Trauergäste waren mit der Pferdebahn gekommen, die meisten zu Fuß. Man sah es am Zustand ihrer Schuhe, Rocksäume und Hosenbeine, wie Lydia Grootmann mit schweigender Missbilligung bemerkt hatte.
Als sich der Trauerzug nach dem Gottesdienst für den kurzen Weg hinüber zum Friedhof formierte, folgten alle still und ernst der hinter dem schwarz verhängten Wagen gehenden Familie. Und dann, als der Sarg in die Erde gesenkt wurde, war da nichts als ein innig gemurmeltes Gebet aus den hinteren Reihen.
Mommsen war in den Augen honoriger hanseatischer Kaufleute schon immer eigen gewesen. Bei aller Behäbigkeit ein Freigeist, sagten die einen, ein Ignorant, urteilten die anderen, die strengeren. Ein Genießer und Philosoph mit einem Hang zu liebenswürdiger Besserwisserei, fanden einige, die ihn gerngehabt hatten.
Zu Letzteren zählte auch Friedrich Grootmann. Der Senior des Handelshauses Grootmann & Sohn gehörte zur Spitze der hanseatischen Gesellschaft, sein Haus stand für Handel mit der halben Welt. Die beiden so unterschiedlichen Männer waren durch ihre Ehefrauen miteinander verbunden, Lydia Grootmann und Juliane Mommsen waren Schwestern gewesen. Juliane, die jüngere, war vor vielen Jahren gestorben.
Hin und wieder, wenn seine Geschäfte oder andere Besuche Grootmann in die Elbvororte führten, hatte er seinen Schwager in der behaglichen Villa am Geesthang besucht. Er hatte ihn auf seine stets ein wenig unverbindlich erscheinende Art gemocht.
Womöglich hatte er ihn um sein friedliches Leben beneidet, um die Freiheit eines Mannes ohne Verantwortung für andere, man konnte sagen: eines Mannes ohne Bedeutung, und um seine dafür symbolische friedliche Terrasse, auf die nie jemand nur wegen der Politik und der Geschäfte eingeladen worden war. So ein Leben ohne echte Herausforderungen würde Männer wie Grootmann und seine Söhne auf die Dauer langweilen und ermüden. Dennoch – diese Ruhe, dieser Blick vom Garten über den Fluss und die Schiffe bis zu den waldigen Hügeln hinter dem Marschland am jenseitigen Ufer, wenn dann der Sonnenuntergang Land, Wasser und Segel in flüssiges Rotgold tauchte …
Eine Amsel schmetterte ihre Fanfare in den Moment der Stille, nachdem der Pastor die letzten Worte gesprochen hatte, die Totengräber die Schaufeln schon fester griffen, aber alle Köpfe noch gesenkt, alle Hände noch gefaltet waren. So bemerkte niemand Friedrich Grootmanns breites Lächeln. Diese freche Amsel – immerhin hatte sie gewartet, bis die Grabrede absolviert war –, diese Amsel mit ihrer unverschämt fröhlichen Fanfare hätte auch Sophus amüsiert.
Und endlich fühlte er Trauer. Eine unerwartet tiefe Trauer. Er würde Sophus sehr vermissen.
* * *
Als die Droschke kurz vor Teufelsbrück leicht bergab zu rollen begann, rief Felix Grootmann dem Kutscher zu, er möge am Hafen für ein paar Minuten halten. Der Mann auf dem Bock nickte gleichmütig. Am Altonaer Bahnhof hatte der Herr es noch enorm eilig gehabt, die reichen Leute änderten ständig ihre Meinung. Wie es ihnen grad in den Kopf kam.
Der Hafen bestand nur aus einem Becken für Jollen und kleine Kutter oder Ewer, so hielt der Kutscher auf dem Platz oberhalb der Mole.
«Nur fünf Minuten», sagte der Fahrgast im Aussteigen, beschirmte die Augen mit der Hand – seinen Hut hatte er bei Mantel und Gepäck in der Droschke gelassen – und schlenderte zur Mole hinunter. Da lagen, gut vertäut, gepflegte Jollen von Besitzern der umliegenden Anwesen; sonst hatten nur drei kleine und ein zweimastiger Ewer nahe der Einfahrt festgemacht. Oder war der mittlere, der behäbige Einmaster mit den Seitenschwertern, eine holländische Tjalk? Das konnte er nie erkennen. Das Schiff wurde noch entladen, der Schiffer und sein Knecht liefen trotz der prall gefüllten Säcke auf ihren Schultern so leicht und sicher wie auf festem Grund über das Brett zwischen Boot und Mole.
Bevor der Hafen gebaut worden war, hatten Schiffer mit Fracht für die allmählich zu Villenvierteln wachsenden Dörfer Klein Flottbek oder Nienstedten in der Mündung des Flüsschens Flottbek geankert; manche Ewer wurden einfach auf die bei Ebbe trockenfallenden Uferstreifen gelenkt und dann entladen, um mit der Flut wieder abzulegen.
Einige Schritte oberhalb der Mole blieb Felix Grootmann stehen und beschirmte wieder die Augen,
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