Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
diesmal mit beiden Händen, die Sonne reizte seine müden Lider. Auf der Elbe herrschte Betrieb.
Er sah den Fluss und sein breites Tal nicht wie ein Kaufmann oder Reeder. Ihm fielen bei diesem Anblick keine Zahlen zu Tonnagen und Gewinn oder Verlust ein, keine Sorgen über den beständig zum Versanden neigenden Fluss, auch kein Gefühl von Triumph, weil der wenige Kilometer östlich liegende, mächtig prosperierende Hamburger Hafen nun nach New York und London der drittgrößte der Welt war.
Er spürte Wärme und sanften Wind und endlich auch, wie seine innere Ruhe zurückkehrte. Es war eine gute Idee gewesen, am Fluss halten zu lassen.
Felix Grootmann, gut dreißig Jahre alt, wie stets elegant, lehnte sich gegen einen Stapel Bauholz, schob die Hände in die Jacketttaschen, und seine starren Gesichtszüge wurden weicher. Für die Trauerfeier war es zu spät, das war ihm sehr recht. Beerdigungen gerieten leicht zu leeren Ritualen, oft war die Anwesenheit nur Pflicht und Konvention. Heute wäre es für ihn anders gewesen. Trotzdem gönnte er sich diesen Moment der Besinnung beim Blick über die Elbe ohne schlechtes Gewissen.
Er stand im Ruf einer gewissen Leichtfertigkeit, wenn es um Zwischenmenschliches ging. Er bestritt das nie, den Mitgliedern seiner Familie jedoch war er ein verlässlicher Sohn, Bruder oder Cousin. Familienpflichten empfand er nicht als Last, sondern als echte Anliegen und Selbstverständlichkeiten. Mommsen hingegen hatte sich in seiner Abgeschiedenheit zum Exzentriker gemacht.
Felix hatte ihn heimlich als eine positive Ausnahme empfunden, wobei so ein Außenseitertum für ihn nur akzeptabel war, solange es mit Komfort und Behaglichkeit, also mit Wohlstand, verbunden war. Er hielt sich für einen tolerant denkenden Menschen, doch Vagabunden oder brotlose Künstler verachtete er. Darin war er ein lupenreiner Grootmann. Als Mitglied einer honorigen, zuletzt im Überseehandel noch reicher gewordenen Kaufmannsfamilie war er den hanseatischen Traditionen verpflichtet. Er hatte früh verstanden, dass es einerseits unverrückbare Regeln gab, andererseits etliche, die für den jeweiligen Zweck passend gemacht wurden. Die gute Hamburger Gesellschaft stand im Ruf, steif zu sein, tatsächlich war sie, wenn es darauf ankam, äußerst flexibel.
Anders als sein Vater und sein älterer Bruder hatte er den vorgegebenen Weg verlassen und sich für die Juristerei entschieden, aus Interesse, Überzeugung und mit Leidenschaft. Nicht zuletzt war es seine Suche nach Freiräumen gewesen, nach ein bisschen Distanz zu den ganz speziellen ungeschriebenen Gesetzen der Familie und der Tradition.
Im Gegensatz zu Amandus – von seinem jüngeren Bruder wurde nur gesprochen, wenn es absolut unvermeidlich war, also so gut wie nie – blieb er dennoch in der Welt, die für ihn vorgesehen war. Er erlaubte sich nur kleine Ausreißer, diskrete Extratouren, manchmal mit klopfendem Herzen, aber bei Licht besehen nicht mehr oder andere als die meisten Männer, die er kannte, mit denen auch sein Vater und Bruder verkehrten. Aber er redete nie darüber.
Sein Blick wanderte weit über das Wasser. Ein verhaltenes Tuten lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Fahrrinne. Das war die Englandfähre. Aus ihrem Schornstein stieg dicker Rauch, er gab dem mittelgroßen Schiff ein ungehaltenes Aussehen. Felix Grootmann liebte es, wenn er einmal müßig am Ufer oder an einem Hafenkai stand, Schiffen einen Charakter zu geben. Es passierte einfach in seinem Kopf. Anderen mochte das mit Pferden und Hunden so ergehen, mit Bäumen oder Rosen, mit Häusern, für ihn waren es die Schiffe. Dieses Fährschiff – es gab viele, allein von Häfen der britischen Insel kam täglich eines die Elbe herauf nach Hamburg – dieses zählte nicht zu den komfortabelsten. Wer es eilig hatte, musste das nächstbeste Boot durch den Kanal und über die Nordsee in die Elbe nehmen, wer zu knausern hatte, entschied sich für die preiswerteste Überfahrt. Die ziemlich klobige Lilly Prym lag da gerade noch in der Mitte.
Trotzig, dachte Felix, sie sieht eindeutig trotzig aus, der Schornstein dabei unpassend schnittig. Er war selbst schon auf ihr gefahren, es war nicht lange her.
Vor allem war die Lilly Prym langsam. Langsam? Sie schien gerade so viel Geschwindigkeit vorzulegen, dass sie nicht mit der Strömung flussabwärts Richtung Cuxhaven getrieben wurde. Viele Passagiere waren an Deck, standen an der Reling und genossen den Blick auf die Ufer. Felix Grootmann fand von
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