Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Deckel ihres Malkastens auf. «Ich hatte noch keine Gelegenheit, neue zu kaufen.»
    Diesen Kasten hatte Claire ihr gebracht. Die gute Claire, die stets genau zuhörte und alles bedachte. Er sei wenig benutzt, hatte sie erklärt, leider habe sie selbst keine echte Freude daran, von Talent gar nicht zu reden.
    «Aquarellfarben sind jetzt genau richtig», sagte Fräulein Röver. «Und die Pinsel? Zwei Rundpinsel, zwei verschiedene Flachpinsel. Aha, auch ein Chinapinsel. Haben Sie die schönen Schriftzeichen geübt? Und ein breiter zum Verwaschen der Farben.» Sie prüfte die Haare der Pinsel und legte einen unbrauchbaren zur Seite, mit den übrigen war sie zufrieden, besonders mit dem aus Rotmarderhaar.
    An den Farbtuben fand sie nichts zu bemängeln. Diese neuen synthetischen Farben seien für ihre Kunstauffassung gerade richtig, erklärte sie, die hätten eine Leuchtkraft wie die Natur.
    «Die vier Grundfarben reichen erst einmal, daraus können Sie für den Anfang alles Nötige mischen. Aber das wissen Sie sicher.»
    «Das habe ich früher gelernt, ja. Ich werde es bedenken, wenn ich neue Tuben kaufe.» Hetty lächelte plötzlich. Sie fühlte sich in ihre Pensionatszeit zurückversetzt, als noch alles offen und voll ungeahnter Möglichkeiten gewesen war. Hatte sie auch davon geträumt, Künstlerin zu sein? Sie konnte sich nicht erinnern. Wahrscheinlich war sie für so verwegene Träume eine zu langweilige Person.
    «Nun gut, es entspricht nicht ganz den Gepflogenheiten, aber ich sehe, Sie sind keine völlige Anfängerin und möchten sicher lieber gleich mit Farben arbeiten. Sie können es mit den Rosen versuchen. Die Blüten sind nicht einfach zu malen, aber einfacher als die der Dahlien. Wir werden sehen, was schon gelingt und was nicht.»
    Hetty legte nacheinander drei noch feuchte Papierbögen mit den ersten traurigen Versuchen zur Seite, und dann, plötzlich, hatte sie wieder das Gefühl für die richtige Menge Wasser und Farben, für die Mischung der Töne in den flachen Vertiefungen der Palette, für die Führung des Pinsels, die richtige Spannung im Handgelenk. Und nun sah sie auch die Rose in all ihren Feinheiten, entstand im Kopf das eigene Bild, dem das, was sich auf dem Papier abbildete, immerhin entfernt ähnelte.
    Bis dahin waren ihr noch zu viele andere Dinge durch den Kopf geschwirrt. Zuerst die Teerunde der Malschülerinnen, mit der der Tag begonnen hatte. Die jüngste war neunzehn Jahre alt, die älteste einundvierzig, jede erschien ihr ungemein interessant.
    Noch mehr beschäftigten sie jedoch die Tagebuchnotizen ihres Vaters. Er hatte stets gehofft, sie werde an die Elbe zurückkehren, und hatte, wie sie selbst vor wenigen Tagen, mit dem Gedanken gespielt, ob Hetty und Thomas nach Hamburg oder Altona übersiedeln könnten. Er hatte Thomas sehr gemocht.
    Bald nachdem Papa von ihrer Hochzeit aus England zurückgekehrt war, hatte er notiert, Paul übertreffe die schönsten Erwartungen. Von den Jungen, deren Ausbildung er im Lauf der Jahre gefördert habe, scheine er der erfolgreichste zu werden. Sein schneller Aufstieg bei der Polizei freue ihn aber besonders, weil der Junge den schwierigsten Start gehabt habe.
    In den Tagebüchern aus weiter zurückliegenden Jahren hatte sie schon kurze Notizen über Jungen gefunden, denen ihr Vater den Abschluss einer höheren Schule oder anderen Ausbildung ermöglicht hatte. Sein Bedauern über das Versagen eines der Jungen und sein Abdriften in kriminelle Kreise war besonders kurz vermerkt.
    Paul. Sie wusste nicht, wie Kriminalkommissar Ekhoff mit Vornamen hieß, und den Familiennamen des Jungen vom Strand hatte sie nie gewusst. Nur, wie es unter Kindern ist, den Vornamen. Paul. Nun wusste sie, warum irgendetwas an Ekhoff ihr vertraut gewesen war.
    «Das sieht schon ziemlich gelungen aus.» Christine von Edding-Thorau setzte sich neben Hetty und stützte das Kinn in beide Hände. «Macht es Ihnen Freude? Oder», sie senkte spöttisch lächelnd die Stimme, «oder wollen Sie doch nur spionieren?»
    Nun war es an Hetty, spöttisch zu lächeln. «Sie haben gelauscht, als ich zum ersten Mal hier war.»
    «Natürlich. Das sollte man immer, wenn eine interessante Person auftaucht und so geheimnisvoll wirkt.»
    Hetty streifte ihren Pinsel ab und stellte ihn ins Wasserglas. «Interessant? Wegen meines Mannes?»
    Christine antwortete nicht gleich. «Auch», gestand sie dann. «Das war eine dumme, taktlose Bemerkung. Um es auf die Spitze zu treiben: Da ich gelauscht habe,

Weitere Kostenlose Bücher