Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
aus.
«Warten Sie, ich möchte Sie etwas fragen», sagte Hetty rasch. «Mein Vater hat in den letzten Jahren nicht nur Ihre, sondern eine ganze Anzahl von zeitgenössischen Bildern gekauft, wohl überwiegend von Malern hier aus der Region. Hatte ich das schon erwähnt? Mein Cousin glaubt, darunter auch einige von französischen Künstlern entdeckt zu haben. Ich verstehe nichts davon und wüsste gerne mehr darüber. Würden Sie sich die Mühe machen und mich in unserem Haus in Nienstedten besuchen, um die Bilder mit mir anzusehen? Die Pferdebahn fährt von Altona bis vor meine Tür.»
Als Henrietta die Treppe hinunterlief, die große Tasche mit Farbkasten und Aquarellpapier unter dem Arm, fühlte sie sich zwar nicht als angehende Künstlerin, das würde sie nie sein, aber wie eine ernsthafte Schülerin, eine Studentin. Der erste dilettantische Versuch, eine Rose zu aquarellieren, bedeutete nicht gleich einen Schritt in ein neues weites Land, es fühlte sich trotzdem so an. Vielleicht lag es weniger an der verwaschenen Rose als an ihrer eigenen Entscheidung. Nach sehr langer Zeit, vielleicht überhaupt zum ersten Mal, traf sie eigene Entscheidungen, und sei es, einen Malkurs zu belegen, anstatt hinter geschlossenen Fenstern und Türen ihre Trauer zu leben, wie es sich gehörte.
Auf der Treppe fiel ihr gerade noch ein, dass sie sich um einen Kittel kümmern musste. Der Hauswart sorge für die Wäsche, hatte Fräulein Röver erklärt, vielleicht habe er noch einen vorrätig.
Nach den lichten Atelierräumen mit den großen Fenstern war es unten im Entree dämmerig wie in einem Keller.
«Herr Boje?», rief sie. «Hallo? Herr Boje!» Ihre Augen gewöhnten sich rasch an das dämmerige Licht, und sie erkannte, dass die Tür zur Wohnung oder Werkstatt des Hauswarts im Souterrain einen Spalt offen stand. Sie zögerte nur einen Moment, dann trat sie ein und ging die wenigen Stufen hinunter.
Es roch nach einer Melange aus etwas Öligem, Ersatzkaffee und verstopfter Abflussrinne. Der Raum war schmal und nur vier Schritte lang, neben einer zum Innenhof geöffneten Tür stand eine kleine Drehbank, an der Wand darüber hingen, ordentlich aufgereiht, verschiedenste Werkzeuge, auf der anderen Seite war Feuerholz aufgestapelt. Ein alter, roh gezimmerter Schrank ohne Tür diente als Vorratslager für Dinge, die ein Hauswart für kleine und größere Reparaturen braucht. Hinter einem nur halb geschlossenen Vorhang befand sich noch ein Raum, sie sah ein zerwühltes Bett, einen kleinen Kanonenofen, davor ein paar gute Schnürstiefel. An der Wand hing ein Bild, sie kniff die Augen zusammen, es war eher eine Art Plakat.
«Was wolln Sie hier!»
Hetty fuhr erschreckt herum. Der Hauswart stand in der Tür, sie hatte ihn nicht gehört. «Der Ausgang ist oben. Wo Sie reinkommen, geht’s auch wieder raus. Ist meistens so. Hier ist privat. Oder wolln Sie vielleicht zu den Unrattonnen?»
«Verzeihen Sie», stotterte Hetty, «es ist mir wirklich peinlich. Die Tür war offen, und ich dachte, hier ist nur Ihre Werkstatt. Ich wusste nicht, dass Sie hier wohnen.»
«Der Hauswart wohnt in der Hauswartwohnung. Ist das in England anders? Was wolln Sie denn?»
«Nur einen Malerkittel. Ich möchte einen bestellen, ich bin an zwei Tagen in der Woche hier. Fräulein Röver sagt, Sie besorgen die Wäsche, auch die Kittel. Wenn ich das nächste Mal komme, am nächsten Montag, ja, dann brauche ich einen. Heute hatte ich nur eine Schürze», plapperte sie, «meine eigene. Die reicht natürlich nicht, die Farben, wenn man kleckert – nun ja.»
Boje fuhr mit dem Handrücken unter seinem Bart entlang, es machte ein kratzendes Geräusch, und blickte sie starr an.
«Herr Boje? Hab ich etwas Falsches gesagt? Ich bin in einer Minute wieder verschwunden. Es geht wirklich nur um einen Kittel. Falls noch einer da ist.»
«Doch.» Er wandte sich ab, nahm ein Winkeleisen von der Werkbank und hängte es akkurat an seinen Platz an der Wand. «Doch, das geht. Sie müssen nicht mehr hier runterkommen, ich bring einen Kittel hoch. Der liegt dann auf dem Vertiko beim Teetisch.»
Eine Minute später stand Hetty wieder auf der Straße und atmete tief durch. Ein Rest des klebrigen Geruchs aus dem Souterrain hatte sie begleitet, sie schritt rasch aus, und er war schnell verflogen.
* * *
Paul Ekhoff ging die wenig benutzte Seitentreppe im Stadthaus hinunter, er brauchte frische Luft, ein oder zwei Tassen Kaffee und keine Fragen. Denn er hatte ein Problem. Genau
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