Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Gespräch auf Afrika und die Lage in der Kapprovinz», erklärte sie ihren erstaunten Eltern. Lydias Miene war unbewegt, Friedrichs halbwegs amüsiert.
«Muss ich mir Sorgen machen? Sie sind doch nicht etwa in Goldgräberstimmung und schmieden Auswanderungspläne? Wir können hier nicht auf Sie verzichten.»
«Danke, das ist sehr freundlich. Nein, ich habe nicht vor auszuwandern, aber wie Ihr Fräulein Tochter gerade sagte, es ist von Nutzen zu wissen, was in der Stadt vorgeht, und ich halte es ebenso mit der Welt.»
«Die Kapprovinz ist zweifellos ein interessantes Revier. Aber solange Buren und Engländer sich noch die Köpfe einschlagen, von kriegerischen Eingeborenen gar nicht zu reden – ich weiß nicht. Die Geschäfte da unten bedeuten vor allem enorme Risiken. Ich sehe nach wie vor Südamerika als weitaus vielversprechender.»
Dem stimmte Blessing vorbehaltlos zu. Das sei es, unbedingt, andererseits gehe ohne Risiken nichts voran, wie Herr Grootmann selbst oft betone.
«Zufällig in der Straßenbahn», sagte Lydia Grootmann, als sie mit Claire allein war.
«Warum nicht?» Claire blickte auf den Briefumschlag, aber sie ließ ihn verschlossen. «Es war ein interessantes Gespräch. Herr Blessing weiß sehr viel, wenn er auch nicht ganz so weit gereist ist wie Papa oder lange in ausländischen Kontoren gelernt hat wie Ernst. Und er ist sehr höflich.»
«Ach, Claire. Sieh doch genau hin. Blessing ist gut für das Kontor, er wird sich auch als ein guter Prokurist erweisen. Aber er ist und bleibt doch ein Karrierist.»
Endlich sah Claire auf. «Wenn sich ein Mann aus sogenannten kleinen Verhältnissen fleißig und zuverlässig um Erfolg bemüht, ist er gleich ein Karrierist? Er hat doch schon Prokura, muss er da in der Hoffnung auf weiteren Aufstieg und Protektion der übriggebliebenen ältlichen Tochter des Hauses schöntun? Danke, Mutter, vielen Dank. Ich weiß sehr wohl, dass ich kein süßes Dornröschen bin. Aber ich bin auch kein Aschenputtel. Falls es dich beruhigt – er hat mir keine Avancen gemacht, das würde er nie tun. Wozu auch? Wir haben nur über Lohnenderes als das Wetter und ähnlich abendfüllende Themen gesprochen. Nun musst du mich entschuldigen, ich habe zu tun.»
Damit lief Claire die Stufen zum Garten hinunter und war verschwunden.
Lydia lauschte auf die Stille, die von den entfernten Küchengeräuschen und einer den Uferweg passierenden Droschke kaum gebrochen wurde. Wenn Claire sie Mutter statt Mama nannte, hatte sie etwas übel genommen. Es kam selten vor, dann meistens zu Recht. Diesmal, da war Lydia Grootmann sicher, zu Unrecht.
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Kapitel 4
Mittwoch, vormittags
D ie Pension Chicago entpuppte sich als bescheidenes Etablissement im zweiten Stock eines vom Alter schiefen Fachwerkhauses. Es sah aus, als bedanke es sich ergeben bei seinen jungen Nachbarn, ohne deren stützende Mauern es umfiele. Nur noch wenige Gebäude sahen hier so aus. Neue Häuser, stabiler und größer, aus massivem Stein mit höheren und lichteren Räumen, bestimmten zunehmend das Bild. Überhaupt glaubte man an vielen Stellen der Stadt, diese sei eine einzige weitläufige Baustelle. Es gab große Pläne für die alten übervölkerten Quartiere, mächtige Kontorhäuser sollten entstehen, viele Stockwerke hoch, mit Aufzügen und breiten eleganten Treppen, Telefonleitungen und Rohrpost, komfortablen Heizungen, Restaurants im Erdgeschoss für kurze Wege zu guten, auch Geschäftsverhandlungen förderlichen Mahlzeiten.
Besonders im vergangenen Jahrzehnt hatten sich Hafenareal und Innenstadt rasant verändert. Nicht nur der immer noch andauernde Bau der langen Reihen von Speichern auf Wandrahminsel und Brook, für die Zigtausende Menschen umgesiedelt werden mussten, auch die Straßen der Innenstadt veränderten ihr Gesicht, in noch einmal zehn Jahren würde die nun City genannte Altstadt kaum mehr wiederzuerkennen sein. Entsprechend schnell wuchsen die Vorstädte. Siedlungen mit großen Wohnblöcken entstanden, Industrien breiteten sich auf Äckern und Wiesen aus, neue Straßen und Bahnlinien wurden angelegt. Wenn Hamburg auch noch kleiner an Raum und Bevölkerung war, musste es sich nicht hinter London oder New York verstecken.
Im Parterre des Hauses Hüxter 8 offerierten eine Eisenwarenhandlung und ein Schlosser Waren und Dienste, im Souterrain wurden links Kohlen verkauft, rechts in einer der üblichen winzigen Kellerkneipen – feucht und kaum mehr als mannshoch – Schnaps und
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