Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
schlappes Bier. In der ersten Etage befanden sich Wohnungen.
Im Nebenhaus residierte auch eine Auswandereragentur, Ekhoff nahm sich vor, dort bald eine Kontrolle vorzunehmen. In den letzten Wochen wurden wieder Schiffspassagen verkauft, die nicht existierten. Ekhoff war kein Engel der Armen, aber er wusste, was der Verlust von Hoffnung bedeuten konnte. Außerdem verursachten die im Elend gestrandeten Auswanderer für die Stadt und ihre Polizei nur Ärger und Kosten.
Margret Kampe führte ihre Pension allein, ihr Ehemann war auf der Suche nach einem besseren Leben für sie beide vor Jahren auf dem Zwischendeck nach New York und von dort weiter nach Chicago gereist. So hatte sie auf dem Weg vom Kommissariat im Stadthaus zum Hüxter erzählt. Er wollte sich dort in den riesigen Schlachthöfen lukrative Arbeit suchen. Dass man hörte, die seien alle wie die Hölle, hatte ihn nicht geschreckt. Seither war Enno Kampe verschollen. Zweimal hatte sie gedacht, er sei zurückgekommen, aber die Männer, die sie für ihn gehalten hatte, waren einfach in der Menge verschwunden. Sie war sicher, die hatten ihm nur ähnlich gesehen.
«Da hat es damals Unruhen mit Toten gegeben», erklärte sie auf den letzten Stufen zu ihrer Etage. «Angeblich nur vier, aber das stimmt nicht. Einer, der dabei war und zurückgekommen ist, hat gesagt, viele sind später noch an Verletzungen gestorben. Wenn hier auch so ’n großer Streik losgeht …»
Da erinnerte sie sich, dass sie mit zwei Polizisten sprach, Männern von der Gegenseite, und öffnete schweigend die Tür zu ihrem Reich. Das war eng, düster und ärmlich, der Kohl-, Windel- und Klosettgeruch aus dem Treppenhaus ließ sich nicht ganz aussperren, hier mischte sich jedoch der nach Möbelwachs und Kernseife hinein.
Die Pension verfügte über drei Gastzimmer, zwei mit je vier, eines mit zwei Betten. Haggelow hatte das Doppelzimmer für sich allein gemietet. Der Mann konnte nicht ganz arm gewesen sein. Merkwürdig war nur, dass er sich überhaupt ein solches Logis gesucht hatte.
«Vielleicht wegen einer vorübergehenden finanziellen Krise», überlegte Henningsen. «Ein Engpass. So was kommt vor. Oder er musste auf Geld aus seiner Heimatstadt warten, weil er seine Börse verloren hat, bestohlen worden ist oder am Spieltisch Pech gehabt hat.»
Ekhoff nickte, doch er glaubte nicht daran. Der Tote hatte genug Geld in den Taschen gehabt, um mindestens einige Tage in einem besseren Hotel zu wohnen. Nicht gerade im Streit’s oder im St. Petersburg am Jungfernstieg, aber allemal in einem besseren Haus als diesem. Falls das sein ganzer Reichtum gewesen war, musste er natürlich so billig wie möglich wohnen, aber … nein, so einfach war es sicher nicht.
Frau Kampes Fremdenbuch erwies sich als gut geführt und leserlich geschrieben, Lücken waren nicht erkennbar. Haggelow hatte als Vornamen James und als Wohnort Newcastle angegeben, unter Gewerbe stand merchant . Kaufmann – das konnte alles und nichts bedeuten. Außer ihm waren während seines Aufenthaltes nur drei Gäste in der Pension abgestiegen. Sie waren einen Tag vor ihm angekommen und hatten alle in dem größeren der beiden Vierbettzimmer geschlafen. Gestern waren sie mit einem schwedischen Schiff nach Norden gereist, es war am späten Nachmittag ausgelaufen. Haggelow und diese Männer hatten sich nicht gekannt. Das, so versicherte die Pensionswirtin, wäre ihr aufgefallen, sie habe ein Auge für so was. Überhaupt seien sie sich kaum begegnet, womöglich gar nicht, die Schweden seinen immer schon aus dem Haus gewesen, wenn Mr. Haggelow zum Tee kam.
Sein Zimmer maß längs wie quer vier Schritte, was als geräumig gelten musste. Außer dem Bett mit einer verwaschenen, einst dunkelblauen Tagesdecke gab es einen Stuhl und einen schmalen Tisch, auf dem nur eine Kleiderbürste lag. Auf dem Nachttisch stand ein zweiarmiger Leuchter mit halb heruntergebrannten Kerzen, daneben lag eine Schachtel Streichhölzer. Für einen Schrank fehlte der Platz, ihn ersetzte ein dreifacher Kleiderhaken an der Wand neben der Tür. Auf einem Bügel hingen Hemd und Jackett von guter leichter Qualität für warme Tage, daneben ein heller Sommermantel, am letzten Haken ein Handtuch. Irgendetwas fehlte, aber Ekhoff wurde von Henningsen abgelenkt, der noch erfahren musste, dass langsames Schauen und Denken keine Schande, sondern manchmal die einzig richtige Strategie waren.
«Wir haben nun den Namen. Er war zwei Tage und drei Nächte hier»,
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