Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Briefpapier. Clifton bei Bristol. Da stand es. Bristol! Fast hätte er es übersehen.
«Er benutzt zwei englische Namen», sagte Henningsen aufgeregt. «Wir müssen Scotland Yard kabeln, die haben ihn sicher in ihrer Kartei. Womöglich ist er auf der Flucht gewesen, vor der englischen Polizei oder vor seinen Kumpanen. Und hier sollten wir eine Anzeige in den Zeitungen aufgeben. Mit irgendwem wird er in der Stadt verabredet gewesen sein oder Geschäfte gemacht haben. Wenn es illegale waren, meldet sich natürlich keiner, aber vielleicht weiß sonst jemand etwas.»
«Thomas Winfield aus Bristol. In England.» Ekhoff beugte sich wieder zum Fenster und betrachtete die Fotografie noch einmal genauer.
«Ja», bestätigte Henningsen eifrig, «Bristol in England, obwohl es sicher auch eines in Amerika gibt. Aber die Adresse auf dem Briefbogen lautet auf eine Straße in Clifton, das ist ein Vorort auf der Anhöhe. Recht nobel. Ich war mal dort. Es gibt viele schöne neue Häuser und Straßen, besonders diese eleganten, im Halbrund langgezogenen weißen Terrassenhäuser. Wie in Bath, Sie wissen schon …»
Ekhoff wusste nicht einmal, dass es eine Stadt dieses Namens gab, aber er hörte ohnedies nicht zu, er betrachtete das junge Paar vor den Rosen. Hübsche Gesichter, elegante, aber keinesfalls extravagante Kleidung. Er war nicht absolut sicher, ob der Mann, der ihm daraus selbstbewusst entgegenlächelte, tatsächlich der Tote vom Meßbergbrunnen oder nur ein ihm ähnelnder Mann war, vielleicht ein Bruder oder Cousin, aber die junge Frau an seiner Seite erkannte er sofort. Er war ihr zuletzt vor vierzehn Jahren begegnet, vielleicht vor fünfzehn, seltsamerweise erinnerte er sich nicht mehr an das genaue Jahr. Aber die Fotografie, auf der er sie danach noch gesehen hatte, ließ schon die junge Dame ahnen, die sie heute sein musste. Die auf dieser Fotografie. Er hätte sie überall erkannt, und zumindest indirekt verdankte er ihr das Leben, das er jetzt führte. Jedenfalls vermutete er das. Die erste Sprosse auf der Leiter nach oben.
Die Fotografie zusammen mit dem Namen – da gab es keinen Zweifel. Aus dem Bild blickte ihn Henrietta Mommsen an, noch ein wenig schüchtern, doch auch froh und stolz. Den Namen ihres Ehemanns hatte Martha irgendwann erwähnt. Die kleine Mommsen habe geheiratet, hatte sie erzählt (Gott allein mochte wissen, woher sie das wieder erfahren hatte), sie heiße jetzt Winfield. Der Mann sei ein stinkreicher Engländer, feine Gesellschaft. Was auch sonst …
Da war etwas Fremdes in Marthas Stimme gewesen. Und dass sie es überhaupt erwähnte. Es mussten etwa anderthalb Jahrzehnte seit jenem Sommer damals vergangen sein, während all der Jahre hatten sie nie über die feine Besucherin am Strand gesprochen.
Den Namen hatte er gehört und wieder vergessen. Henrietta hatte er nicht vergessen. Die kleine Hetty mit den großen Taftschleifen gab es schon lange nicht mehr, und dort unten am Fluss – das war in einer anderen Welt gewesen.
Er blickte immer noch auf die Fotografie. «Die Zeitungsanzeigen können wir sparen», erklärte er endlich, «Winfield ist der richtige Name. Ich frage mich nur, warum er in einem Hotel abgestiegen ist», sein Blick machte rasch eine Runde durch den Raum, «erst recht in so einer bescheidenen Pension. Er hat wohlhabende Verwandtschaft in der Stadt, überaus angesehene Leute. Es wird interessant sein zu erfahren, ob er die nicht treffen wollte oder umgekehrt.»
Und wahrscheinlich, dachte er, ist auch seine Frau in der Stadt. Die junge Mrs. Winfield.
* * *
Henrietta war erst spät am Vormittag vom langgezogenen Tuten eines Signalhorns erwacht. Sie fühlte sich immer noch wie zerschlagen. Dass sie nach den Schrecken der vergangenen Stunden überhaupt eingeschlafen war, erschien ihr so unwirklich wie die verschwommenen nächtlichen Bilder, wie das alle Vernunft überschwemmende Gefühl der Panik. Es lauerte immer noch ganz in der Nähe.
Der Schatten im Garten war kein Einbrecher gewesen, kein Dämon, keine Gefahr für ihr Leben. Nur ein Schatten. Frau Lindner hatte ganz sicher recht. Man musste nur alles mit Sachlichkeit und im hellen Licht des Tages bedenken. Eine plötzliche Bö hatte die Zweige der Robinie just in dem Moment tanzen lassen, als der Mond für eine Minute hinter einer Wolkenbank auftauchte. Das hatte schleichende und dann vermeintlich flüchtende Schatten geworfen. Und sicher hatte auch nichts geknarrt, kein Fensterflügel jedenfalls, keine Tür, nur
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