Ein Gebet für die Verdammten
was angedeutet …, aber ich bin schließlich ein Brehon. Es ist mein Recht und meine Pflicht, Ungerechtigkeiten zu korrigieren,und daß der Krieger in diesem Fall zu weit gegangen war, lag auf der Hand.«
»Woher willst du das wissen? Von wem hast du überhaupt erfahren, daß Bruder Drón im Gefängnis sitzt?«
»Jemand hatte gesehen, wie er dorthin abgeführt wurde, und ich bin dann der Sache nachgegangen. In meiner Eigenschaft als Brehon habe ich verlangt, den Gefangenen zu sprechen.«
»Auf welche Art und Weise hast du Aufschluß über die Gründe erhalten, die zu Bruder Dróns Festnahme führten? Wie sonst hättest du entscheiden können, ob es sich um eine Ungerechtigkeit handelte oder nicht?«
»Nichts einfacher als das. Bruder Drón hat mir alles erzählt.«
Fassungslosigkeit machte sich auf dem Gesicht des Obersten Richters breit. »Und du hast ihm geglaubt?«
»Wieso hätte ich ihm nicht glauben sollen? Er ist ein frommer Klosterbruder, ein führender Kirchenmann aus Ulaidh, und er … er ist …« Brehon Ninnid verstummte.
»Und er stammt aus Laigin, gehört zu den Uí Drona, wie du auch«, ergänzte Fidelma im ruhigen Ton.
Ihre Feststellung bewog Brehon Barrán zu einer weiteren Überlegung. »Richtig. Das hatte ich völlig vergessen. Bist du mit ihm verwandt?«
»Ich stamme von den Uí Drona«, bestätigte Brehon Ninnid von oben herab, »aber das tut nichts zur Sache.«
»Nein? Drón hat dir also erzählt, daß man ihn ohne berechtigten Grund ins Gefängnis gesteckt hätte.«
»Ganz recht, und so war das ja auch. Ich wußte von vornherein, daß der Befehlshaber der Leibwache seine Kompetenzen überschritten hatte, und habe dafür gesorgt, daß der Gefängniswärter ihn freiließ.«
»Nicht nur das, du bist mit ihm zu den Ställen gegangen, ihr habt euch beide eure Pferde genommen und seid vom Burggelände geritten … In welche Richtung hat es ihn getrieben?«
Dem selbstgefälligen jungen Richter ging langsam auf, daß es nicht gut lief für ihn, und er wurde unsicher.
»Ich wollte unten in einer Herberge jemanden aufsuchen, und so sind wir gemeinsam in die Stadt geritten. Ich bin an der Herberge abgestiegen, und er ist weitergeritten. Er sagte, er hoffe Schwester Marga zu finden, die sich ohne seine Erlaubnis fortbegeben hätte.«
Fidelma konnte sich nicht länger zurückhalten. »Wohin ist er? In welche Richtung?«
Brehon Ninnid sah sie unschlüssig an, konnte sich nicht gleich zu einer Antwort durchringen. Doch Barrán sprang ihr bei und forderte gebieterisch: »Antworte!«
»Soviel ich weiß, hat er sich für die Straße entschieden, die westlich zum großen Fluß, dem Siúr, verläuft.«
»Das hilft uns nicht weiter«, stellte Fidelma bekümmert fest. »Wir werden uns auf Rónán verlassen müssen.«
Besorgt sah Richter Barrán den Brehon aus Laigin an. »In deinem Hochmut hast du das Gesetz übertreten, Ninnid«, sagte er dann. »Einen Gefangenen einfach freizulassen ist schlimm genug, aber sich anzumaßen, im Namen des Königs ohne seine ausdrückliche Erlaubnis zu sprechen ist ungeheuerlich. Ist dir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß Drón dir vielleicht nicht die Wahrheit sagt? Hast du nicht ein einziges Mal erwogen, daß der Krieger seine Weisungen hatte und nicht einfach aus einer Laune heraus handelte? Du wirst dich vor Gericht verantworten müssen. Stellt sich heraus, daß du Vetternwirtschaft betrieben hast, weil du zu dem Stamm der Uí Dróna gehörst, gehst du für alle Zeiten des Rechtes verlustig, deinen Beruf auszuüben.«
Ninnid schluckte. »Aber es war nicht so, daß …«, wollte er anfangen, sich zu rechtfertigen.
Brehon Barrán hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Jeder Richter trägt die Verantwortung für von ihm begangene Fehler«, sagte er unerbittlich. »In meinen Augen hast du bereits einen Fehler, den du gemacht hast, zugegeben, den des
leth-tacrae
.«
So nannte man es in der Rechtsprechung, wenn ein Richter ein Urteil fällte, nachdem er nur eine Seite gehört hatte. Ein Urteil ohne das Anhören beider Seiten wurde als Vergehen gegenüber dem König und den mit ihm Regierenden im Königreich angesehen. Für einen Richter war es die schlimmste Art der Pflichtverletzung. Zur Strafe wurde er nicht nur seines Amtes enthoben, sondern mußte noch dazu Bußgeld zahlen.
Ninnid wurde blaß. »Ich schwöre, daß ich nicht aus Gründen verwandtschaftlicher Beziehungen zu Bruder Drón so gehandelt habe. Die Tatsache, daß er vom selben Stamm ist
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