Ein Gebet für die Verdammten
ihr schon während der Haft der Häuptlinge der Uí Fidgente hier begegnet war. Er versah den Posten des
giallchométaide,
des Obersten Gefängniswärters. Fidelma war er nicht sympathisch, und sie traute ihm nicht so recht. Das lag wahrscheinlich an seinem unglücklichen Äußeren, das sie an ein Frettchen erinnerte: eng beieinander stehende Augen, schmale Lippen und ein ewiges Grinsen. Doch ob er ihr gefiel oder nicht, Hauptsache, er war tüchtig in seinem Amt.
Er schloß das Tor auf und bekundete lächelnd unter vielen Verbeugungen seine Hochachtung.
»Sei willkommen, Lady, willkommen, Hauptmann. Womit kann ich euch dienen?«
»Wir wollen Bruder Drón befragen, den du hier als Häftling hast«, erklärte Fidelma, die das unterwürfige Dienern des Menschen verdroß.
»Bruder Drón?« Dem Mann gefror das Lächeln, und er wiederholte den Namen, als hörte er ihn zum ersten Mal.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie gereizt. »Los, führe mich zu ihm.«
Der Gefängniswärter schaute sie überrascht, fast entsetzt an. »Aber, Lady, dein Bruder, der König, hat vor einer Stunde Bruder Dróns Entlassung angeordnet.«
KAPITEL 17
Selten hatte die Auskunft eines Mannes Fidelma so aufgebracht wie diese. »Sei nicht töricht, Mann!« herrschte sie ihn verärgert an. »Ich komme geradewegs von meinem Bruder und bin jetzt hier, um den Gefangenen zu befragen.«
Der Mann wurde blaß. »Aber … aber …«
Sie verlor die Geduld. »Bring mich zum Gefangenen, und zwar sofort!«
»Es ist doch aber so, wie ich gesagt habe«, stammelte er verwirrt. »Vor über einer Stunde habe ich Bruder Drón rausgelassen. Richter Ninnid hat im Namen von König Colgú seine Entlassung befohlen.«
Fidelma wußte nicht, wie ihr geschah. »Brehon Ninnid hat
was
?«
»Er hat die sofortige Entlassung von Bruder Drón befohlen«, wiederholte der Oberste Gefängniswärter aufgelöst.
In aller Eile erteilte Fidelma Caol Anweisungen. »Über prüfe , ob Bruder Drón noch auf dem Burggelände ist. Ich fürchte, er ist bereits auf und davon. Versuche, Brehon Ninnid ausfindig zu machen. Wenn dir das gelingt, bring ihn unverzüglich in König Colgús Gemach, notfalls mit Gewalt. Sollte dir unterwegs Brehon Barrán begegnen, bitte ihn, ermöge sofort ebenfalls dort hinkommen. So etwas ist mir noch nie …« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Caol rannte bereits los.
Wütend stürzte Fidelma in das Gemach ihres Bruders. Colgú war allein und schreckte angesichts ihrer Fassungslosigkeit hoch. Noch ehe er eine Frage stellen konnte, tobte sie los: »Man hat Bruder Drón in deinem Namen freigelassen!«
Ratlos schaute er sie an. »Das kann nicht sein. Nie und nimmer hätte ich …«
»Es war Ninnid«, fiel sie ihm ins Wort. »Er hat sich einfach erdreistet, zum Gefängnis zu gehen und in deinem Namen Bruder Dróns Freilassung anzuordnen.«
Just in diesem Moment betrat Barrán, der Oberste Richter, den Raum. »Was ist geschehen? Der Befehlshaber der Leibwache hat mir bedeutet, ich möge sofort hier erscheinen. Worum geht es?«
Colgú hatte den Ernst der Situation begriffen, und seine Augen funkelten böse. »Bruder Drón saß mit meinem Wissen und Einverständnis in Sicherheitsverwahrung hier im Gefängnis. Blathmac von Ulaidh war informiert. Jetzt höre ich von meiner Schwester, daß Richter Ninnid von Laigin in meinem Namen seine Entlassung angeordnet hat, und das ohne mein Wissen und Einverständnis. Dafür wird er sich verantworten müssen.«
Wie die beiden anderen war auch der Oberste Richter sprachlos, dennoch überwog bei ihm die Neugier. »Was hatte Bruder Drón denn getan, daß man ihn ins Verließ sperrte?« wollte er wissen.
Mit raschen Worten erläuterte Fidelma die Umstände, die dazu geführt hatten, Bruder Drón vorübergehend zu inhaftieren. Sie war eben mit ihrer Darstellung am Ende, als Caol erschien.
»Bruder Drón ist tatsächlich nicht mehr auf der Burg. Das gleiche gilt für Brehon Ninnid«, informierte er sie. »Sie haben sich auf die Befugnisse des Brehon berufen, ihre Pferde aus dem Stall geholt und sind davongeritten.«
»Weiß man, in welche Richtung?«
»Man hat sie nur runter in die Stadt reiten sehen. Wohin dann, keine Ahnung. Ich habe Leute ausgeschickt, die auskundschaften sollen, ob irgend jemand etwas weiß.«
Als hilfreicher Ratgeber erwies sich Brehon Barrán nicht. »Weshalb Ninnid so und nicht anders gehandelt hat, verstehe ich nicht, aber in jedem Fall ist es ein ungeheurer Affront gegen dich, Colgú.
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