Ein Gebet für die Verdammten
und seine Einwände laut und deutlich zu verkünden. Einspruch zu erheben kann man ihm nicht verbieten.«
Resigniert wandte sich Colgú an Abt Ségdae: »Du warnst uns, daß Abt Ultán Bruder Drón zum Berater hat, einen nicht zu unterschätzenden Gelehrten. Was könnte er denn morgen an klugen Argumenten gegen die Heirat meiner Schwester ins Feld führen?«
»Nichts, dem man nichts entgegensetzen könnte«, erwiderte der Abt mit fester Stimme. »Wie schon oft gesagt wurde, ist die Forderung, ehelos zu leben, wenn man sich dem Dienst am Glauben gewidmet hat, eine reine Ansichtssache. Zu der Zeit, als unser Herr auf Erden wandelte, waren seine Apostel verheiratet, selbst Petrus, der Fels, auf den sich die gesamte Kirche gründet. In allen Religionen, von denen ich je gehört habe, gibt es Glaubenseiferer, die überzeugt sind, daß Enthaltsamkeit, sowohl von Männern als auch von Frauen geübt, sie ihren Göttern irgendwie näherbringt. Unsere christlichen Reinheitsfanatiker feierten ihren ersten Sieg vor dreihundert Jahren auf der Synode von Elvira in Iberien. Dort kam man überein, daß ein Priester, der in der Nacht vor der Messe mit seiner Frau schläft, nicht die Sakramente austeilen dürfe. Ein viertel Jahrhundert später wurde auf demKonzil von Nicäa festgelegt, daß ein Priester, sowie er die Weihen empfangen habe, nicht heiraten dürfe. Dennoch hat fünfzig Jahre später Siricus, der Bischof von Rom, angeordnet, daß es Priestern nicht gestattet ist, mit ihren Frauen zu schlafen – was deutlich beweist, daß in der Priesterschaft immer noch geheiratet wurde.«
Fidelma hob ungeduldig die Hand. »Die meisten Priester und anderen Glaubensbrüder in allen Königreichen der Welt heiraten auch heute noch. Mir ist bekannt, daß die Hinneigung zum Zölibat Teil einer Bewegung ist, die von denen ausgeht, die die Rolle der Frau in der Welt mindern wollen. Wir wissen alle, daß auf dem Konzil von Laodicea vor dreihundert Jahren vereinbart wurde, Frauen nicht länger zum Priester zu weihen. Und heute gibt es tatsächlich nur noch sehr wenige christliche Priesterinnen.«
Abt Ségdae nickte zustimmend. »Es läßt sich nicht leugnen, daß während der letzten hundert Jahre die Bischöfe von Rom, die von vielen als die obersten Bischöfe der Christenheit angesehen werden, sich auf die Seite derjenigen gestellt haben, die das Prinzip der Ehelosigkeit durchsetzen wollen. Söhne von Bischöfen oder Priestern nehmen nicht mehr den Thron des heiligen Petrus ein. Homidas, Sohn des heiligen Silverus, war der letzte Sohn eines Bischofs von Rom, der dem Vater auf den Thron folgte. Jetzt gibt es Bischöfe wie Gregor, der die sonderbare These aufstellte, jedes geschlechtliche Verlangen sei schon Sünde.«
Colgú reichte es allmählich. »Streitfragen, Argumente, Präzedenzfälle! Das ist, wie einem Irrlicht hinterherjagen. Gibt es denn kein schriftlich niedergelegtes Gesetz, an das man sich halten und auf das sich ein Urteil stützen kann? Gibt es in deinen kirchlichen Schriften keine verläßliche Regel, Ségdae?«
Der Abt schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, die Ansichten über Geschlechtsmoral oder über die Ehe sind in den Glaubensschriften weder einheitlich genug noch unangefochten geblieben, als daß man ihnen Gesetzeskraft zubilligen könnte. Bislang jedenfalls sind die Beschlüsse der verschiedenen Synoden nie überall als bindend anerkannt worden.«
Eadulf hüstelte verstohlen. Er war sich bewußt, ein Fremdling im Königreich zu sein, und demzufolge stand es ihm nach gesellschaftlichem Brauch und Gewohnheitsrecht nicht zu, unaufgefordert in Gegenwart des Königs das Wort zu erfreifen. Colgú begriff sofort, warum er zögerte, und ermunterte ihn.
»Du mußt dich hier nicht an Förmlichkeiten halten, Eadulf, wenn du etwas zu unseren Überlegungen beisteuern willst.«
Eadulf dankte ihm mit einer Kopfbewegung. »Nach meiner Erfahrung berufen sich diejenigen, die für das Zölibat eintreten, auf die Schriften des Augustinus von Hippo.«
Abt Ségdae schaute ihn interessiert an. »Ich glaube nicht, daß Augustinus großen Einfluß in unserem Land hat, schon gar nicht im Königreich Ulaidh, denn seine Ansichten sind unseren Gesetzen und unserer Lebensart total entgegengesetzt. Er behauptete, Frauen seien dem Mann völlig unterlegen, sowohl in ihrer moralischen Haltung als auch in ihrer Körperlichkeit.«
»Wohl wahr«, stimmte Eadulf ihm zu. »Er hat auch geschrieben …« Eadulf schloß die Augen, um die Worte aus dem
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