Ein Gebet für die Verdammten
werden, ihnen Ehre zu erweisen und Gehorsam zu leisten, dann glaube ich, wir sollten uns eher auflehnen gegen eine solche Lehre. Wenn wir unterdrückt werden, ist es unsere Pflicht, sich dem Peiniger zu widersetzen. War das nicht der Glaube unserer Vorväter?«
»Das war, bevor das Wort Gottes uns erreichte und uns lehrte, einem anderen Pfad zu folgen.«
»Beati pauperes spiritu, quoniam ipsorum est regnum caelorum«,
zitierte Abt Augaire, ohne sich bewußt zu sein, daß er damit Eadulfs Bemerkung wiederholte. Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
»Das klingt, als würdest du diesen Worten keinen Glauben schenken«, wandte Fidelma ein.
»Ich bin nicht mehr jung, und es fällt mir schwer, Idealen zu vertrauen«, erwiderte Abt Augaire. »Ich habe zu oft des Menschen böse Natur gesehen. Warum sollte Armut im Geiste eine große Tugend unseres Glaubens sein? Ich bezweifle sogar, daß das überhaupt eine Tugend ist. Ich glaube, Armut im Geiste ist eher ein Vergehen.«
Eadulf holte tief Luft. Diese Anschauung richtete sich gegen alles, was man ihm vom Neuen Glauben gelehrt hatte.
Auch Fidelma betrachtete den Abt nachdenklich. »Ein Vergehen? Vielleicht erklärst du uns, wie das zu verstehen ist.«
»Wenn die Seligen arm im Geiste sind, werden dann nicht diejenigen, die stolz und hochmütig im Geiste sind, daherkommen und sie unterjochen? Wenn man sich nicht gegen das Böse stemmt, wenn man nicht gegen die Übeltat einschreitet, dann ermutigen diejenigen, die ihnen die andere Wange hinhalten, die Überheblichen zu weiterer Bosheit und weiteren Verbrechen.
Ego autem dico vobis: non resistere malo; sed si quis te percusserit in dextera maxilla tua, praebe illi et alteram.
Das sind die Worte Christi, wie sie uns Matthäus übermittelt – ›Ich aber sage euch: Leistet dem Bösen keinen Widerstand, sondern wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin.‹ Was soll er dann tun? Dich ein zweites Mal schlagen? Es wäre doch besser, wenn er dich auf die rechte Wange geschlagen hat, ihn mit Macht daran zu hindern, dir noch einmal Schmerz zuzufügen.«
Fidelma schwieg einen Augenblick und atmete schwer. »Du magst recht haben mit deinen Überlegungen, Abt Augaire. Ich erinnere mich an die Worte meines Mentors, des Brehon Morann. Er hat öfter eine Redensart aus alten Tagen angeführt: ›Wer dem Unterdrücker Vorschub leistet, macht sich mitschuldig am Verbrechen.‹ Deine Befürchtung, daß Armut im Geiste die Gläubigen in Knechtschaft führt, kann ich verstehen. Doch der Neue Glaube stellt ungewohnte Forderungen an uns, und wir müssen sie erfüllen, so gut wir können.«
Ein schwaches Lächeln glitt über die Züge des Abts. »Du bist eine logisch denkende Person, Fidelma. Von dem Ruf,den du dir erworben hast, habe ich schon manches gehört. Du verstehst die Argumente anderer und fürchtest dich nicht, sie aufzugreifen. Ich habe mich rasch dem Neuen Glauben angeschlossen, weil mein Gefühl mich dazu trieb. Doch nun bin ich abgestumpft und lasse mich von verstandesmäßigen Überlegungen leiten. Als Abt und Bischof plagen mich Schuldgefühle. Dennoch werde ich meine Schuld nicht vergrößern, indem ich vorgebe, ich kann jemand lieben und ihm vergeben, der stets übel gehandelt hat.«
Fidelma nickte bedächtig. »Wir haben deine Zeit lange genug in Anspruch genommen und danken dir für deine Geduld«, sagte sie, erhob sich und deutete damit an, daß sie das Gespräch beenden wollte.
Auch der Abt stand auf; er schien noch etwas zu überlegen. »Könnte es möglich sein, daß Muirchertach die Tat doch verübt hat?«
»Zweifelst du an seiner Unschuld?« fragte Fidelma. »Du hast doch anfangs deutlich gemacht, daß du nichts sagen wolltest, das seiner Verteidigung schaden könnte.«
Er dachte nach und schüttelte langsam den Kopf. »Ich möchte keineswegs, daß Muirchertach oder sonstwer dafür belangt werden, uns von einem Menschen wie Ultán erlöst zu haben. Wenn du mehr über Ultán erfahren willst, dann sprich mit Fergus Fanat, der ist einer der adligen Krieger von den Uí Néill, die Blathmac, den König von Ulaidh, begleiten. Und was Muirchertach angeht, das ist ein Mann, der so seine Geheimnisse hat. Von Liebe zwischen ihm und seiner Frau kann nicht die Rede sein. Deswegen frage ich mich immer wieder, warum er bis zum Äußersten gegangen ist und Sühne gefordert hat für den Tod der Schwester seiner Frau.«
»Bist du zu irgendeiner Schlußfolgerung
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