Ein Gebet für die Verdammten
Abt Augaires Aussage stimmt, daß er mit Dúnchad Muirisci
brandubh
gespielt hat.«
»Zweifelst du das an?«
»Keineswegs. Aber eine gute
dálaigh
gibt sich nie mit Vermutungen zufrieden. Außerdem könnte uns das auch Aufschluß geben hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem Ultán auf sein Zimmer ging und von Augaire gesehen wurde, als er sich dann mit einer der beiden Schwestern aus seiner Begleitung stritt.«
»Woher wissen wir, daß es ein Streit war?« gab Eadulf zu bedenken. »Der Abt hat lediglich behauptet, als die Frau dasZimmer betrat, hätte er Ultáns Stimme in herrischem Ton gehört. Zu einem Streit gehören aber immer zwei.«
Fidelma gähnte, gab ihm jedoch recht.
»Ich bin müde.« Fast klang es wie eine Entschuldigung, weil sie in ihrer Formulierung nicht präzise genug gewesen war.
Muirgen kam zurück und setzte ein großes Tablett mit dampfender Suppe, frisch gebackenem Brot und einer Schale Obst auf dem Tisch ab.
»Eßt und ruht euch dann aus«, meinte sie, wendete sich dem Kind zu und nahm Alchú in ihre fülligen Arme. Der Kleine fühlte sich sichtlich wohl bei ihr und gluckste munter. Muirgen nickte Fidelma und Eadulf zu, verschwand mit dem Knaben und ließ die beiden allein.
Zwei Stunden später kam Muirgen und weckte sie mit der Nachricht, Colgú warte draußen. Sie glätteten ihre Kleidung, rieben sich den Schlaf aus den Augen und schickten Muirgen, ihn hereinzubitten. Sie tat, wie ihr geheißen, und zog sich rücksichtsvoll zurück.
Colgú wirkte besorgt, entschuldigte sich aber für seine Störung.
»Ich weiß, daß ihr kaum zum Schlafen gekommen seid, doch ich hätte gern gewußt, wie die Dinge stehen«, begann er.
»Wir brauchen noch geraume Zeit für unsere Nachforschungen, Bruder«, erwiderte Fidelma, während Eadulf für alle Cider einschenkte.
»Hältst du Muirchertach für unschuldig oder schuldig?«
»Ich bin gewillt, ihn zu verteidigen«, sagte sie vorsichtig. »Wir sind uns beide darin einig, daß, wenn er schuldig wäre, er entweder ein Trottel oder ein Schlitzohr ist. Und irgendwiehabe ich das Gefühl, er ist weder das eine noch das andere. Und was Abt Ultán angeht, so hat er sich genügend Feinde gemacht, und etliche von denen weilen hier als Gäste. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Trauung so lange aufzuschieben, bis wir den Mord aufgeklärt haben.«
Colgú schaute unglücklich drein. »Daß die Sache für dich nicht leicht ist, weiß ich. Ich weiß aber auch, daß es um deine Hochzeit geht, Fidelma, und ich muß an die Gäste denken. Der Hochkönig, die Könige der
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und ihre Edelleute können ihren Aufenthalt hier nicht ins Unermeßliche ausdehnen.«
»Ich kann den Fortgang der Untersuchungen nicht beliebig beschleunigen«, entgegnete Fidelma gereizt, »auch wenn Brehon Ninnid Druck ausübt.«
»Das ist mir klar. Ich muß mir etwas einfallen lassen, wie ich den Hochkönig und die Adligen eine Weile ablenken kann. Das Wetter hellt auf, und da dachte ich, morgen in aller Frühe unsere ehrenwerten Gäste zu einer Jagd einzuladen.«
Erstaunt blickte Eadulf von seinem Weinkrug auf. »Eine Jagd?«
»Eine Wildschweinjagd«, bestätigte der König. »Ungefähr fünf Kilometer östlich von hier soll eine Rotte die Felder eines Bauern verwüstet haben. Da paßt es doch großartig, unseren Gästen eine Unterhaltung besonderer Art zu bieten und sie die Viecher jagen zu lassen.«
Fidelma überlegte. »Bis morgen oder morgen abend habe ich den Fall aber nicht geklärt. Wer, denkst du, sollte an der Jagd teilnehmen?«
»Der Hochkönig ist ganz begeistert von dem Gedanken. Im Grunde genommen war er es sogar, der vorgeschlagen hat, man müßte etwas unternehmen, um die Adligen und ihreDamen zu unterhalten und so die Wartezeit zu überbrücken.«
»Ich bedauere, daß Sechnassach für die Langwierigkeit von Gesetz und Ordnung in diesem besonderen Fall kein Verständnis hat«, bemerkte sie eisig.
»Du kannst nicht von jedem erwarten, so viel Geduld aufzubringen«, wehrte Colgú ab. »Vielleicht könntest du wenigstens mit einer Andeutung helfen, wann du möglicherweise mit der Klärung …«
Ungehalten gab sie einen Stoßseufzer von sich. Sie konnte das Dilemma, in dem sich ihr Bruder befand, durchaus verstehen, aber für irgendwelche Festlegungen war es entschieden zu früh. Ihr Gefühl sagte ihr, daß Muirchertach unschuldig war, aber gleichzeitig nagte da noch ein anderer Verdacht, nämlich der, daß er ihr nicht die volle Wahrheit gesagt hatte. Mit
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