Ein Gebet für die Verdammten
Vater, hatte. Ich wußte, daß die Mutter gestorben war, aber nicht, daß es bei ihrem Tod um Mord ging.«
Fidelma nickte. »Wir müssen mit beiden, Berrihert und Ordwulf, reden«, erwiderte sie.
Die Gästeschar war vollends verwirrt. Colgú aber war Herr der Lage und erteilte Weisungen. »Senkt die Bahre in das Grab«, befahl er unmißverständlich. »Wer den Wunsch hat, ein Gebet für den Seelenfrieden dieses Mannes zu sprechen, mag das tun. Unter uns sind nicht wenige, die meinen, es gibt noch viele offene Fragen, und erst wenn sie alle beantwortet sind, können wir den Verstorbenen rühmen oder verdammen. Gott wird uns vergeben, daß wir bis dahin zaudern.«
Der Hochkönig Sechnassach hatte sich mit Blathmac von Ulaidh ausgetauscht, wandte sich jetzt um und nickte zustimmend.
»Deine Weisungen sind eindeutig, Colgú«, sagte er laut, so daß auch Bruder Drón begreifen mußte, daß er dem Gesagten zustimmte. »Ziehen wir uns zurück.«
Die Menge begann sich zu zerstreuen, bis auf die Träger, Bruder Drón und seine weiblichen Begleiter Marga und Sétach. Auch Eadulf wandte sich zum Gehen, doch Fidelma hielt ihn fest.
»Wir können uns noch nicht entfernen, das wäre unschicklich«, flüsterte sie.
Eadulf bemerkte sofort, daß auch die Brehons blieben. Das gebot ihnen ihre Pflicht.
Bruder Drón leierte eine Reihe Gebete für den Verstorbenen herunter. Fidelma fiel auf, daß Schwester Marga, die ziemlich jung wirkte, unaufhörlich schluchzte. Schwester Sétach schlang den Arm um das schmächtige Mädchen und suchte es zu trösten, fast war sie wie eine Mutter, die ihr Kind beruhigt. Schließlich hatte Bruder Drón seine Gebete beendet, und die Totengräber senkten die Leiche ins Grab. Wie üblich wurden Birkenzweige und Ginster darüber gebreitet und danach die ausgehobene Erde aufgefüllt.
Fidelma und Eadulf warteten, bis Bruder Drón und seine Begleiterinnen zusammen mit Brehon Ninnid den Friedhof verließen. Dann gingen sie zu Barrán und Baithen hinüber und schritten mit ihnen bergauf bis zu den Toren der Festung.
»Ich habe schon vielen Beerdigungen beigewohnt, aber das war die wundersamste«, begann Brehon Barrán das Gespräch.
»Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß Abt Ultán bei keinem beliebt war, so wurde uns der soeben geliefert«, stellte Fidelma sachlich fest.
»Und doch hat man niemand anderen als Muirchertach beim Verlassen der Kammer des Abts gesehen«, mischte sich Brehon Baithen ein. Offensichtlich rechnete er damit, Fidelma würde sich die fast allgemein verbreitete Ablehnung des Abts in ihrer Verteidigung des Königs von Connacht zunutze machen.
»Das stimmt. Trotzdem bleibt uns nichts anderes übrig, als alle Beweggründe für die Feindseligkeiten zusammenzutragen, die Abt Ultán mit seinem Verhalten erweckt hat.«
»Welches Ärgernis er auch immer heraufbeschworen hat«,meinte Brehon Baithen, »seine Ermordung rechtfertigt das nicht. Wir müssen dem Gesetz Geltung verschaffen.«
»Wollen wir hoffen, daß wir dabei auch der Gerechtigkeit Geltung verschaffen«, entgegnete Fidelma pointiert.
»Nach dem, was wir eben erlebt haben, werde ich sicherstellen, daß ein Wächter vor Bruder Dróns Kammer Posten bezieht«, erklärte Brehon Baithen. »Wir wollen doch wohl nicht, daß jener Fluch Wirklichkeit wird. Ich dachte, dieser angelsächsische Bruder Berrihert ist einer deiner Freunde, Eadulf? Ist ihm nicht bewußt, daß er sich gegen unser Gesetz der Gastfreundschaft vergangen hat?«
»Ich habe nie gesagt, daß er oder seine Familie meine Freunde sind«, stellte Eadulf richtig. »Ich habe lediglich gesagt, daß ich ihn kenne. Ich habe mit ihm studiert und bin später seinen Brüdern auf der großen Synode von Whitby begegnet.«
»Ich denke, du hast Miach von den Uí Cuileann zugeredet, ihnen Asyl in seinem Stammesgebiet zu gewähren?«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Eadulf gekränkt. »Miach hat das aus eigenem Entschluß getan.«
»Worauf willst du hinaus, Baithen?« fragte Fidelma gereizt. »Eadulf räumt ein, daß er Berrihert kennt, aber das macht ihn doch nicht verantwortlich für dessen Verhalten oder das seiner Verwandten. Wir alle kommen im Laufe unseres Lebens mit vielen in Berührung, die rettungslos verderbt sind. Heißt das, daß wir selbst ebenfalls rettungslos verderbt sind?«
Brehon Baithen hüllte sich in Schweigen, und Brehon Barrán hielt sich gänzlich heraus.
»Dir bleibt nicht viel Zeit, Fidelma«, erinnerte er sie, »ich muß binnen einer Woche
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