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Ein Gebet für die Verdammten

Ein Gebet für die Verdammten

Titel: Ein Gebet für die Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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das getragene Läuten einer Handglocke, der Totenglocke. Der glockenschwingende Küster, ein junger Mann in dunkler Gewandung, ging den vier Trägern voran, die die hölzerne Bahre trugen; auf ihr ruhte der in ein Leichentuch gewickelte Tote. Unter fortwährendem Glockengeläut hielt die kleine Gruppe Einzug in den Friedhof und blieb vor einer dunklen Grube stehen. Das Grab war zuvor vermessen und ausgehoben worden.
    Es herrschte völlige Stille.
    Verunsichert schaute sich der Glöckner um. Niemand in der Menge machte eine Bewegung. Er räusperte sich.
    »Wer zelebriert das
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?« fragte er und schien verwirrt, daß sich keiner meldete. »Wer stimmt das Requiem an und spricht die Gebete für den Verstorbenen?«
    Verlegen traten die Geistlichen von einem Fuß auf den anderen, bis sich schließlich Bruder Drón verärgert nach vorne schob.
    »Ich übernehme es!« verkündete er und schaute Abt Ségdae herausfordernd an. »Mein Abt war ein bedeutender Mann und hat wohl verdient, daß man sein Andenken ehrt.«
    »Dein Abt kam als ein Fremder und blieb ein Fremder«, erwiderte Abt Ségdae ruhig, aber bestimmt. »Niemand unter den Glaubensbrüdern von Rang hier hat ihn anders als einen Mann von Streitsucht und Rechthaberei gekannt. Daher hat auch keiner von uns das Bedürfnis, das
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über seinem Grab zu zelebrieren. Also sprich die Worte, die du sagen magst, Bruder Drón, niemand wird dich daran hindern.«
    Bruder Drón drehte sich dem König von Ulaidh zu, in dessen Habichtsgesicht die dunklen Augen im Laternenschein funkelten.
    »Und du, König von Ulaidh, willst du schweigend diese Beleidigung hinnehmen, die einem Kirchenoberen deines Königreichs widerfährt?«
    Die Umstehenden waren peinlich berührt. Blathmac wandte sich in versöhnlichem Ton an Bruder Drón. »Ich habe nichts gesehen noch gehört, das als Beleidigung aufzufassen wäre. Ich habe lediglich eine logische Begründung vernommen, warum niemand der Anwesenden hier sich bemüßigt fühlt, über Ultáns Leben und Werk zu sprechen. Du bist vielleicht die Ausnahme. Wenn du es aber nicht tun möchtest, dann laß uns die Bahre mit dem
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bedecken und in die Erde senken, denn es ist schon weit nach Mitternacht.«
    Bruder Drón schluckte heftig. Wütend starrte er in die Runde, trat dann zur Bahre und klatschte mehrmals in die Hände – das übliche Ritual, mit dem ein Gottesdienst begann.
    »Ich beklage die abgeschiedene Seele Ultáns, einer Säule der Kirche und machtvollen Faust des Glaubens, welcher …«
    »Welcher ein Dieb war und Mörder und Übeltäter!« rief eine rauhe Stimme.
    Auf der anderen Seite des Grabes, dort wo auch Fidelma und Eadulf standen, drängte sich jemand in die Menge. Es war Bruder Berrihert. Schockiertes Schweigen folgte seinem Zwischenruf.
    »Alle sollen wissen, welche Schändlichkeiten dieser Mann begangen hat! Niemand soll sein nichtsnutziges Leben rühmen und die Stimme erheben, daß ihm ein Platz unter den Heiligen gebühre.«
    Für einen Moment verschlug es Bruder Drón die Sprache.
    »Wie kannst du es wagen?« keuchte er dann. »Ein Sakrileg begehst du da, unverschämter Angelsachse!«
    »Die Wahrheit zu sagen ist kein Sakrileg«, rief Bruder Berrihert. »Alle, die hier stehen, sollen die Wahrheit erfahren. Er war gottlos und boshaft. Er hat meine Mutter ermordet!«
    Eine der beiden Nonnen, Fidelma war sich nicht sicher, ob es Sétach oder Marga war, schluchzte laut und klammerte sich Trost suchend an die andere. Eadulf schien ratlos und verwundert. Auf ihren fragenden Blick schüttelte er den Kopf, um anzudeuten, daß auch er davon zum ersten Mal etwas hörte.
    Mit ausgestreckter Hand näherte sich Berrihert Bruder Drón und wies mit dem Finger auf ihn. »Und du hattest teil an der Schuld dieser üblen Kreatur, hast dem Schuft eifrig gedient. Ich bin gekommen, um auf dieses Grab zu speien und Ultáns Seele zu verfluchen auf ihrer Reise in die immerwährende Finsternis. Was dich betrifft, Drón, so wünsche ich, daß mit dem
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bald Maß genommen wird an deiner eigenen Leiche!«
    Entsetzt stöhnten die Versammelten auf. Doch ehe sie sich von diesem herausgeschrieenen Fluch erholt hatten – denn viele glaubten, der Espenstab, mit dem Gräber ausgemessen werden, bringe jedem Unglück, der ihn berührt –, war Bruder Berrihert in der Dunkelheit verschwunden.
    Eadulf neigte sich zu Fidelma und flüsterte: »Sein Zornausbruch könnte die seltsame Begegnung erklären, die ich heute früh mit Ordwulf, seinem

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