Ein Gebet für die Verdammten
anderen, ihm etwas Nahrhaftes auf den Tisch zu bringen.
»Ich habe oft gehört, Wildschweine können angriffslustig und gefährlich sein«, suchte er sich zu rechtfertigen.
Gormán gluckste vergnügt. »Bei uns gibt es die Redensart: Der Keiler kann dich auf einer Karre heimschicken, doch nur der Zehn- oder Zwölfender schafft es, dich tödlich zu verletzen und eingesargt heimwärts zu senden. Ein hartnäckiger Keiler kann dich verwunden, aber du mußt schon viel Pech haben oder dich ganz ungeschickt anstellen, daß er dich zu Tode bringt. Zwar kommt das mitunter vor; einem meiner Freunde ist es so ergangen, den hat ein Keiler tödlich verwundet. Diese Biester sind verdammt stark und beweisen tollen Mut; wenn sie in die Enge getrieben werden, verteidigensie sich bis zum letzten. Doch das geschieht selten. Die Tiere sind sehr flink, und du mußt ein ungemein gewandter Jäger sein, willst du sie überlisten. Die sind groß, schnell und kräftig, die nehmen es mit jedem Jagdhund auf.«
»Das heißt also, die Treiber, die zu Fuß mit den Hunden unterwegs sind, jagen sie aufs offene Feld, wo die adligen Reiter sie dann mit ihren Speeren erlegen können.«
Gormán bestätigte das mit einer Handbewegung. »Die Jagd heute verspricht Erfolg. Man erzählt sich Geschichten von einem Keiler mit mächtigen Hauern, der die Felder der Bauern auf den Hügeln hinter dem Forst verwüstet. Unsere Hunde werden ihn und seine Rotte aus dem Dickicht ins Freie hetzen.«
Es war soweit. Einer der Männer hob ein Jagdhorn an die Lippen und stieß hinein. Im Nu sammelten die Bediensteten die noch rasch geleerten Becher ein und halfen ihren Herren in den Sattel. Schließlich saßen alle auf, waren guter Dinge und scherzten, einige prahlten sogar, sie würden die ersten sein, die dem Keiler den Garaus machten. Die Diener reichten jedem Jäger seinen Speer, den
bir,
eine besondere Jagdwaffe mit scharfer Klinge. Colgú führte an der Seite des Hochkönigs Sechnassach den Trupp der Reiter an. Sie trabten aus dem Hof der gewaltigen Festung den steilen Weg hinunter und weiter nach Osten auf die bewaldeten Hügel zu. Muirchertach Nár saß auf einer auffällig gescheckten Mähre, deren unregelmäßig geformte schwarze und weiße Flecken sie aus der Masse der anderen Berittenen heraushoben. Es würde ein leichtes sein, diesen Mann nicht aus den Augen zu verlieren, dachte Eadulf.
Er schwang sich mit einer Behendigkeit auf sein Pferd, dieihn selbst überraschte. »Reiten wir los«, rief er Gormán zu, »ich möchte möglichst dicht hinter Muirchertach Nár bleiben.«
Gormán folgte ihm; sie ritten durch das Tor und hängten sich ans Ende der Kolonne berittener Speerträger.
»Wir werden Muirchertach nicht aus den Augen lassen«, versicherte ihm Gormán. »Trotzdem sollten wir einen gewissen Abstand zu der Haupttruppe der Jagdgesellschaft halten. Du hast nur wenig Erfahrung als Reiter und Jäger, Bruder Eadulf, und solltest besser nicht mitten im Jagdgetümmel sein.«
Bei anderer Gelegenheit hätte eine solche Bemerkung Eadulf geärgert, auch wenn er wußte, daß der junge Mann recht hatte. Jetzt jedoch war er nur darauf aus, dem König von Connacht auf den Fersen zu bleiben.
Fidelma hatte auf dem Balkon ihres Schlafgemachs gestanden und zugesehen, wie die Jäger abzogen. Sie hatte auch beobachtet, daß Muirchertach davonritt, und befriedigt festgestellt, daß Eadulf und Gormán sich dem Haupttrupp anschlossen. Jetzt gab sie Muirgen rasch ein paar Aufträge, küßte den kleinen Alchú, der sich fröhlich mit seinem Spielzeug beschäftigte, und eilte hinaus, um ihr erstes Vorhaben anzugehen.
Ihr Vetter Finguine, der
tánaiste,
berichtete ihr, daß er Bruder Drón den ganzen Morgen über nicht zu Gesicht bekommen habe. Auf weitere Fragen hin wies er sie zum Schlafsaal, in dem die Glaubensschwestern untergebracht waren. Sie erkundigte sich bei der Herbergswirtin nach Schwester Marga und Schwester Sétach und erfuhr, daß sie wahrscheinlich in der Kapelle beim Gebet seien. Doch die Kapelle schien leer und verlassen. Fidelma wollte schon hinausgehen, da bemerkte sie in einer Ecke eine schmächtige, ihr vertraute Gestalt.
»Ah, du bist hier, Schwester Sétach.«
Die junge Nonne wandte sich ihr zu. Dank eines Lichtstrahls, der durch das Fenster fiel, konnte Fidelma etwas mehr erkennen; das Mädchen wirkte abgespannt und ermattet.
»Du siehst recht erschöpft aus, Schwester«, bemerkte Fidelma mitfühlend. »Hast du letzte Nacht schlecht
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