Ein Gebet für die Verdammten
aussprechen, erhalten schlechte Noten. Dann ist da noch ein Buch in Latein …
Liber Angeli,
muß irgendwas mit der Geschichte von Ard Macha zu tun haben.«
»Mehr findet sich wahrscheinlich nicht, das uns Aufschluß geben könnte, was Schwester Sétach hier suchte.«
»Es wäre ja auch Ironie des Schicksals, wenn sie tatsächlichauf Juwelen aus war – eine Diebin, die jemanden bestiehlt, der selbst ein notorischer Dieb war.«
»Und Mörder, vergiß das nicht.«
»Siehst du eine Verbindung zwischen den beiden?«
Fidelma hing dem Gedanken eine Weile nach, schüttelte dann aber den Kopf.
» Alis volat propriis,
wie Publilius …«
»… Syrus zu sagen pflegte«, beendete Eadulf ihren Satz, der Fidelmas Vorliebe für die »Maximen« des ehemaligen Sklaven aus Antiochia kannte. »Sie verläßt sich auf ihre eigenen Flügel. Demnach hältst du Schwester Sétach für eine Diebin, die das unlautere Geschäft auf eigene Faust betreibt?«
»Wir sollten sie jedenfalls im Auge behalten, mehr sag ich einstweilen nicht.«
Eadulf packte die Papiere in die Kiste zurück.
»Wir werden Enda bitten, die Truhe in meines Bruders Schatzgewölbe zu schaffen. Dort steht sie sicher und verschlossen«, entschied Fidelma.
Sie riefen Enda und gaben ihm entsprechende Anweisungen. Dann schauten sie sich ein letztes Mal in dem Zimmer um, in dem Ultán der Tod ereilt hatte, und gingen.
In ihrem eigenen Gemach ließen sie sich in die Armsessel fallen und streckten wohlig die Füße ans wärmende Feuer. »Und was jetzt?« fragte Eadulf.
»Jetzt? Jetzt ist es an der Zeit, ein Bad zu nehmen und sich fürs Abendessen fertig zu machen.« Sie lächelte ihn an. »Es hätte unser Hochzeitsmahl sein sollen, also müssen wir wohl anstandshalber gemeinsam mit unseren Gästen speisen.«
Mißmutig rümpfte Eadulf die Nase.
Fidelma erhob sich. »Ich rufe Muirgen, sie soll die Bäder richten. Nach dem Festmahl wartet noch eine andere Aufgabe auf uns.«
»Nämlich?« fragte Eadulf müde.
»Um Mitternacht müssen wir der Bestattung von Abt Ultán beiwohnen. Es dürfte interessant werden, wer zu der Zeremonie erscheint und warum.«
»Wir müssen dahin?« Damit hatte Eadulf nicht gerechnet. Er fand die irische Sitte, den Leichnam zur mitternächtlichen Stunde ins Grab zu senken, ohnehin seltsam. »Das wird reichlich spät«, gab er zu bedenken, »und ich muß schon beim Morgengrauen wieder auf sein, wenn ich an der Wildschweinjagd teilnehmen soll.«
Fidelma hatte nur ein verschmitztes Grinsen für ihn übrig. »Du kannst von Glück sagen, daß im Winter der Morgen nicht ganz so früh dämmert.«
KAPITEL 11
Im Schatten des hoch aufragenden Felsens von Cashel lag der Relig na nGall, der Friedhof der Fremden. Auf dem Gottesacker wurden hochmögende Gäste bestattet, die in Cashel verstorben waren. Hier hatte sich im Schein der Laternen eine illustre Schar versammelt. Colgú war in Begleitung von Fidelma und Eadulf erschienen. Zugegen waren der Hochkönig Sechnassach und der Oberste Richter Barrán sowie einige Fürsten, unter ihnen auch Blathmac, der König von Ulaidh. Die meisten hatten sich nur aus diplomatischer Rücksichtnahme eingefunden. Muirchertach, der König von Connacht, fehlte, was jedoch nicht verwunderlich schien. Zu den Anwesenden gehörten weiterhin Abt Ségdae von Imleach, Abt Laisran von Durrow, Abt Augaire von Conga und einige andere Mitglieder der Klosterbruderschaften. Auch sie hatten sich mehr vom Pflichtgefühl leiten lassen als von Verehrungfür den Toten. Die Richter Baithen und Ninnid waren ebenfalls gekommen. Als Hauptleidtragende vervollständigten Bruder Drón und die beiden Nonnen, die Schwestern Sétach und Marga, das Bild.
Trotz der ansehnlichen Trauergemeinde hatte es kein
fled cro lige,
keine Feier am Totenbett gegeben. Starb ein großer Mann, war es üblich, die
aire,
die Totenwache abzuhalten. Mehrere Tage und Nächte wurden ununterbrochen Klagegesänge um den aufgebahrten Toten angestimmt. Für Ultán hatte die Totenfeier kaum einen vollen Tag und eine Nacht gewährt, die Mindestdauer, die der Brauch vorschrieb. Fidelma fragte ihren Bruder, warum man so verfahren war, doch Colgú hatte die Achseln gezuckt und gemeint, Bruder Drón hätte es so gewollt, und der verträte schließlich die Abtei Cill Ria.
Sie standen im Finstern zwischen den Gräbern. Steinsäulen, auf denen in Runenzeichen die Namen eingemeißelt waren, schmückten die Gräber der angeseheneren Verstorbenen. Jetzt hörte man vom Burgberg her
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