Ein gefährlicher Gegner
interessant. Und Sie haben tatsächlich die Absicht, diesen ungewöhnlichen Plan auszuführen?»
«Darauf könnten Sie Ihren letzten Dollar setzen.»
Der Arzt glaubte ihm – und das war eine Art Anerkennung, die seiner Nationalität galt. Hätte ein Engländer dergleichen vorgeschlagen, hätte er an seinem Geisteszustand gezweifelt. «Ich kann aber eine Heilung keineswegs garantieren», erklärte er nun. «Ich möchte das mit Nachdruck betonen.»
«Schon gut. Schaffen Sie Jane herbei und überlassen Sie mir alles Übrige.»
Der Arzt starrte ihn an. «Verzeihung, Mr Hersheimer. Ich dachte, das wäre Ihnen klar.»
«Was wäre mir klar?»
«Dass Miss Janet Vandemeyer sich gar nicht mehr in meiner Pflege befindet.»
15
H ersheimer sprang auf. «Wie bitte?»
«Ich dachte, das wüssten Sie.»
«Wann ist sie denn abgereist?»
«Warten Sie mal. Es war am letzten Mittwoch – ja –, als Sie von meinem Baum fielen.»
«Vorher oder nachher?»
«Augenblick mal – nachher! Es traf ein Telegramm von Mrs Vandemeyer ein. Sie fuhren noch mit dem Nachtzug.»
Hersheimer ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. «Schwester Edith reiste mit einer Patientin ab, dessen entsinne ich mich», murmelte er. «Mein Gott, so nah war ich!»
Dr. Hall sah ihn verwundert an. «Befindet sich die junge Dame denn nicht bei ihrer Tante?»
Tuppence schüttelte den Kopf. Sie wollte gerade etwas sagen, als ein warnender Blick von Sir James sie veranlasste, den Mund zu halten. Der Anwalt erhob sich.
«Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, lieber Hall. Ich fürchte nur, dass wir nun die Spur von Miss Vandemeyer aufs Neue suchen müssen. Wie steht es denn nun mit der Pflegerin, die sie begleitete? Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wo sie ist?»
«Wir haben nichts mehr von ihr gehört. Ich wusste nur, dass sie noch eine Weile bei Miss Vandemeyer bleiben sollte. Man hat das Mädchen doch nicht entführt?»
«Das muss erst noch festgestellt werden!»
«Meinen Sie, ich sollte zur Polizei gehen?»
«Aber nein! Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sich die junge Dame bei anderen Verwandten.»
Der Arzt war mit dieser Erklärung nicht völlig zufrieden, er sah jedoch, dass Sir James entschlossen war, nichts mehr zu sagen. So verabschiedeten sie sich und die Besucher verließen das Hotel. Einige Minuten lang standen sie noch neben dem Wagen und besprachen die Angelegenheit.
«Es ist verrückt!», rief Tuppence. «Man stelle sich vor, dass sich Hersheimer unter dem gleichen Dach befand.»
«Was für ein Idiot ich war», sagte Hersheimer wütend.
«Das konnten Sie wirklich nicht wissen», tröstete Tuppence. «Oder?» Sie wandte sich an Sir James.
«Ich möchte Ihnen raten, sich nicht zu beunruhigen», erklärte dieser freundlich. «Sie wissen doch, dass es sinnlos ist, sich über Dinge aufzuregen, die nicht zu ändern sind.»
«Die Frage ist nur, was nun zu tun ist», meinte Tuppence, die wie immer zum Handeln drängte.
Sir James zuckte die Schultern. «Sie könnten durch eine Anzeige nach der Schwester forschen. Ich muss zugeben, dass meine Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis nicht sehr groß ist. Im Übrigen lässt sich nichts unternehmen.»
«Nichts?», fragte Tuppence. «Und – Tommy?»
«Da können wir nur das Beste hoffen.» Sir James ergriff Tuppences Hand. «Sie lassen es mich wissen, sobald irgendetwas Neues eintritt? Briefe werden mir nachgeschickt.»
Tuppence sah ihn fassungslos an. «Fahren Sie denn weg?»
«Haben Sie das vergessen? Nach Schottland.»
«Ja, aber ich dachte doch…» Das Mädchen zögerte.
Sir James zuckte die Schultern. «Mein liebes Fräulein, ich fürchte, mehr kann ich nicht tun. Alle unsere Fährten haben ins Nichts geführt. Sollte sich eine neue Situation ergeben, werde ich Sie gern in jeder mir nur möglichen Weise beraten.»
«Sie haben wohl Recht. Ich danke Ihnen, dass Sie versucht haben, uns zu helfen. Auf Wiedersehen.»
Hersheimer wandte sich zum Wagen. In Sir James’ kühle Augen trat ein flüchtiger Ausdruck des Mitleids.
«Seien Sie nicht traurig, Miss Tuppence. Denken Sie daran, dass auch im Urlaub nicht immer die ganze Zeit mit Vergnügungen ausgefüllt ist.»
Es lag in seinem Tonfall etwas, das Tuppence veranlasste, jäh zu ihm aufzublicken.
«Nein, mehr sage ich nicht. Denken Sie daran: Erzählen Sie niemals alles, was Sie wissen – nicht einmal dem Menschen, den Sie am besten kennen. Auf Wiedersehen.»
Er entfernte sich. Tuppence blickte ihm nach. Allmählich begann
Weitere Kostenlose Bücher