Ein gefährliches Werkzeug
Umgebung aufzufassen und rühmte sich, nie etwas zu übersehen und nichts zu vergessen, was er einmal betrachtet hatte. Auch jetzt hatte er seine Blicke unmerklich über das Zimmer, in dem er saß,hingleiten lassen. Selbstverständlich entging diesem geübten Auge die flache Schramme nicht, die sich an der zu Esdens Schlafzimmer führenden Thür befand. Sofort erkannte Prickett, daß die Schramme genau dieselbe Form und Größe hatte, wie jene andre Schramme, die er an dem Schränkchen in Fräulein Pharrs Schlafzimmer gesehen hatte.
»Ein Versuch?« fragte sich Prickett. »Aber so dumm kann er doch nicht gewesen sein?« Sein Gesicht verriet nichts und sein Auge kehrte nicht zum zweitenmal nach der verdächtigen Stelle zurück.
Ein zweiter Umstand fiel ihm ins Auge. Auf dem Tisch stand ein schweres versilbertes Schreibzeug und in diesem befand sich ein großes gläsernes Tintenfaß, das mit dunkelblauer Tinte gefüllt war. Auf dem Kaminsims aber, hinter einem hölzernen Fidibusbehälter halb versteckt, stand ein gewöhnliches Pennyfläschchen mit der Aufschrift »Blauschwarze Tinte,« und daneben lag eine Feder.
»Wenn ich mir die Freiheit nehmen dürfte, einen von diesen Papierbogen hier zu benützen, Herr Esden,« sagte Prickett aufstehend, »so werde ich die Bekanntmachung hier schreiben und nachher auf die Zeitungsexpedition bringen.«
»Gewiß,« erwiderte Esden, »ich wüßte nicht, was wir besseres thun könnten, und wenn Sie einverstanden sind, geschieht es wohl am besten gleich.«
Mit einem halben Bogen Papier in der Hand schlenderte Prickett nach dem Kamin, nahm die dort liegende Feder auf, tauchte sie ein und schrieb nur ein großes »E« auf das Papier. Die Tinte war blaß und offenbar mit Wasser verdünnt worden. Mit unverändert ruhigem Gesicht sah er in den Spiegel, den er vor sich hatte, und begegnete darin Esdens Augen.
»Soll ich ›betrübt‹ schreiben wie der Kerl?« fragte er. »Er schreibt es mit ›ie‹, aber er wird es wohl auch verstehen, wenn wir es für ihn verbessern.«
Stöhnend sank Esden auf sein Sofa zurück. Einen Augenblick lang war die Spannung seiner Nerven fast unerträglich gewesen, aber offenbar hatte Prickett nichts gemerkt – wie sollte er auch?
»Wir wollen unsre Selbstachtung retten,« erwiderte er mit einem Versuch zu lächeln, »und orthographisch schreiben.«
»Gut,« bestätigte Prickelt und beugte sich wieder über sein Papier, Er schrieb und las dann die Worte: »Ein betrübter Vater, – Auf Ehrenwort, – Adresse: W. E., Esq. Oxford- und Cambridge-Klub.« Nachdem er das Papier zum Trocknen hin und her bewegt hatte, faltete er es zusammen und steckte es ein. »Ich werde dies im Vorbeigehen besorgen und damit wird die Sache bald erledigt sein. Ein bißchen schade ist es doch, nicht wahr?«
»Was ist schade?« fragte Esden wie einer, den seine Schmerzen ungeduldig machen. Er litt wirklich und freute sich doch seiner Schmerzen, denn ohne diese hätte er Angst gehabt, sich jeden Augenblick zu verraten.
»Nun von meinem Standpunkt aus wäre es bedeutend netter gewesen, die Diebe zu fassen: für mich wäre es nach allen Seiten hin vorteilhafter gewesen. Mit ein klein bißchen Geduld hätten wir die Kerls erwischt und nun ziehen sie frank und frei dahin mit tausend Pfund in der Tasche. Es ist ein bißchen hart, solche Aussichten gehabt und sich thatsächlich an der Sache beteiligt zu haben und alles für nichts und wieder nichts.«
»Sie können überzeugt sein, Prickett,« antwortete Esden, »daß Sie nicht vergessen werden. Es soll meine Sache sein, Fräulein Pharr zu sagen, daß sie ohne Ihre Zustimmung diesen Weg nicht hätte einschlagen können.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Esden,« entgegnete Prickett mit sardonischem Gleichmut. »Sie werden mir doch Nachricht geben, sobald Sie Antwort auf die Anzeige bekommen. – Wenn es thatsächlich zu Unterhandlungen mit diesen Leuten kommt und Sie mit ihnen zusammentreffen müssen, dann kann ich Ihnen vielleicht hier und dort einen Fingerzeig geben.«
»Höchst wahrscheinlich,« erwiderte Esden mit scheinbarer Gleichgültigkeit und innerlichem Aufatmen, »Ich werde heute nachmittag an Fräulein Pharr schreiben und ihr mitteilen, daß die Bekanntmachung erscheinen wird.«
»Sie werden seinerzeit die Erfahrung machen,« fuhrPrickett fort, »daß die Leute nur Gold nehmen wollen, und dies macht die Unterhandlungen gefährlich, denn man kann einen Sovereign nicht wie eine Note verfolgen. Dieser Kniff mit
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