Ein Geschenk von Tiffany
rückte unbehaglich hin und her. Er glotzte schon wieder.
»Und du?«, plapperte sie nervös. »Warum bist du hier? Hat Suzy dich hergeschickt, um mich doch noch zu überreden, nach London zu kommen? Auf jeden Fall. Das schreibst du doch immer.«
»Nein«, entgegnete er, »ich wollte eigentlich Anouk sehen. Ist meine letzte Möglichkeit, die Ringe für die Hochzeit zu besorgen, bevor ich auf Expedition gehe.«
»Ach! Aber Anouk ist gar nicht da.«
»Wo ist sie denn?«
»Sie ist mit ihrem Freund übers Wochenende weggefahren.«
Kurze Stille. »Mist.«
»Sie hat gar nicht erwähnt, dass du kommen wolltest.«
»Nö, ich … na ja, ich hab mich ganz spontan entschieden.« Er grinste reuig. »Ich hätte wohl vorher anrufen sollen, was?«
Cassie zuckte die Achseln. »Wäre besser gewesen, ja. Ein weiter Weg, vor allem wenn er umsonst ist.«
Er schaute aus dem Fenster, als würde er nachdenken, dann wandte er sich wieder zu ihr um. »Muss ja nicht umsonst sein. Was hast du heute noch vor?«
Sie zögerte. »Ähm …« Ihr musste schnell irgendwas Beeindruckendes einfallen. Sie hatte große Töne gespuckt: Sie wolle in Paris bleiben, weil sie sich hier so wohl fühlte. Da konnte sie schlecht zugeben, dass sie am Osterwochenende nur rumhockte und gar nichts vorhatte. »Also … eigentlich hatte ich vor, ins Rodin-Museum zu gehen. Den letzten Punkt auf der Liste abhaken, dessen Erfüllung ich noch unter Kontrolle habe.«
»Spitze!«, grinste Henry und trank seinen Kaffee aus. »Da geh ich immer gern hin. Komm, ich begleite dich.«
»Henry, du bist ein Ausbund an Taktlosigkeit«, verkündete Cassie. Sie standen vor der riesigen Skulptur von Rodins Kuss .
»Wieso das denn?« Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und das Gesicht zur Sonne gewandt.
»Na ja, schön ist es ja. Ich verstehe, dass du wolltest, dass ich sie mir unbedingt ansehe. Aber geht es dabei nicht um Ehebruch? Ich meine – also wirklich! Könnten wir uns nicht stattdessen den Denker anschauen?«
»Ah! Aber genau das ist der Irrtum, Cass! Es geht beim Kuss nicht um den in Stein gehauenen Ehebruch.«
»Ach nein? Aber ich steh hier, und ich sehe, wo der Kerl seine Hand hat, Henry. Platonisch sieht mir das nicht aus. Schau!« Sie versuchte ihn dorthin zu ziehen, wo sie stand.
»Man muss die Geschichte kennen.«
Sie verschränkte perplex die Arme. »Na gut, dann erzähl sie mir.«
Er schien einen Moment mit sich zu hadern, ob er sollte oder nicht. »Na gut. Es geht um Folgendes: Ein Ehemann vertraut seine junge Frau der Obhut seines Bruders an. Die beiden verlieben sich. Und was in der Skulptur festgehalten wird, ist der Moment, in dem sie ihre Liebe zueinander erkennen und vollziehen wollen.«
Sie verdrehte die Augen. »Sag ich’s doch! Ehebruch.«
»Nein! Denn der Ehemann kommt in diesem Moment zurück und überrascht die beiden beim Kuss. Er bringt sie um, alle beide. Ihre Liebe findet nie Erfüllung. Beim Kuss geht’s nicht um Ehebruch. Es geht um die unerfüllte Liebe.«
Unerf…? In Cassie stieg eine vage Erinnerung an ihren ersten Kuss als Teenager auf. Überrascht sah sie ihn an. Doch Henrys Blick war starr auf die beiden tragischen Liebenden – die ihre Liebe nie hatten vollziehen dürfen – gerichtet.
Er ging ein paar Schritte weiter, als wollte er sich die Skulptur aus einem anderen Winkel anschauen.
»Weißt du, ich finde, er sieht dir ein bisschen ähnlich«, überlegte Cassie. Sie spähte mit verengten Augen zu der männlichen Statue hinauf.
»Findest du?«
Sie nickte.
»Nee. Ich hab schönere Haare. Aber die Brust … ja, das kommt hin.« Er drückte seine Heldenbrust heraus.
»Ach nee!« Cassie schlug ihm spielerisch auf den Bauch. Er fing reflexartig ihre Hand ein, bevor er sie hastig losließ, als ob sie ihn verbrannt hätte. Dann starrte er wieder zu der Statue hinauf.
Cassie tat es ihm nach. Sie umklammerte ihr Handgelenk. Henrys Griff war rau gewesen, seine Hand groß und überraschend heiß. Sie musste an ein Gespräch zwischen ihrer Mutter und Henrys Mutter denken, das sie einmal gehört hatte. Hattie Sallyford, Henrys Mutter, hatte gesagt: »Er saß auf dem Rücksitz und hatte sich eine Packung Maltesers in die Hand geschüttet. Ich hatte noch nicht mal in den vierten Gang geschaltet, da war es, als würde er da hinten seine eigene kleine Schokofondue-Party veranstalten …«
Sie lachte leise in sich hinein.
»Was amüsiert dich so?«, wollte er wissen.
»Mir ist grade was eingefallen, was
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